Geschichten einer Bahnfahrt
– Von Beucha nach Trebsen am 13. Dezember 1964 –
Hier möchte ich Sie zu einer Reise mit der guten alten Dampfeisenbahn einladen. Die Fahrt wird zwar noch nicht einmal 17 Kilometer lang sein, sich zeitlich aber wohl etwas in die Länge ziehen. Nicht nur, weil wir dafür gegenwärtig eine unweigerlich notwendige Zeitreise unternehmen müssen. Zugleich möchte ich Ihnen auch von einigen interessanten Dingen links und rechts neben dem eisernen Schienenstrang berichten.
Teil 1: „Beucha – Reisende in Richtung Trebsen bitte umsteigen!“
Zwar zucken weder Blitze, noch sprühen bunte Funken – doch plötzlich sind wir um 50 Jahre zurückversetzt worden, ins Jahr 1964. Es ist Sonntag, der 13. Dezember, 3. Advent. Mitten in einem Personenzug finden wir uns wieder, hören ein Rattern, von den Spurkränzen der Räder beim Überqueren von Schienenstößen und Weichen erzeugt. Dann quietschen die Bremsen. Durch ein Fenster fällt der Blick auf ein weißes Schild am Bahnsteigdach. Darauf prangt in schwarzen Lettern der Name der Haltestelle: „Beucha“.
„Beucha – Reisende in Richtung Trebsen bitte umsteigen!“ Ein Zug aus fast den gleichen „Tausendtürenwagen“ wird uns nach Trebsen bringen. Pure Reichsbahn-Romantik der 1950er Jahre in Beucha. (Foto: Sammlung Dirk Reinhardt)
Der Beuchaer Bahnhof war erste Zwischenstation der von der Leipzig-Dresdner-Eisenbahn-Compagnie am 14. Mai 1866 zunächst zwischen Borsdorf und Grimma eröffneten und dann in weiteren Teilabschnitten bis Dezember 1868 fertig gestellten Eisenbahnlinie nach Coswig (Meißen). Ein großer, ausgedehnter Bahnhof, dessen durchgehendes Hauptgleis links und rechts flankiert wird von mehreren abzweigenden Umfahr-, Abstell- und Ladegleisen. Und der Ausgangspunkt der Nebenbahnlinie nach Trebsen ist – unserem Reiseziel. Schon knarrt auch ein Lautsprecher: „Beucha, hier Beucha – Reisende in Richtung Trebsen bitte umsteigen. Bahnsteig 3.“
Zur Fahrt nach Trebsen musste man hier meistens umsteigen. Nur bei wenigen Verbindungen oder während kürzerer zeitlicher Perioden in den Betriebsjahren bestanden durchgängige Zugläufe zwischen Leipzig und Trebsen. Ein Service-Missstand, der nicht nur einmal Streit zwischen Bahn-Obereren und Gemeinden sowie Fahrgästen auslöste. Vor allem in den 1920er Jahren beschwerten sich die vielen Berufspendler und verlangten Änderungen. Man wünschte sich besser an die Leipziger Arbeitszeiten angepasste Zugläufe. Arbeitsbeginn der Leipziger Betriebe war damals 07.00 Uhr. Der erste Zug fuhr „zu früh“, schon 05.30 Uhr. Der zweite, 06.15 Uhr, war dann meist überfüllt und „bei Verspätungen konnte es eng werden“. Nach Arbeitschluss, um 16.00 Uhr, fuhr der Zug dann jedoch erst 17.50 Uhr retour. Weiterhin gab es Kritik über die oft lange und wegen Überfüllung bzw. in Ermangelung eines geheizten Warteraumes im Freien zu verbringende Wartezeit beim Umsteigen. Gerade im Winter oder an kalten, regnerischen Tagen konnten es die Reisenden überhaupt nicht verstehen, wenn sie frieren mussten, „während ihr Zug nach Trebsen mollig durchwärmt“ am anderen Bahnsteig stand. Denn sie durften die Gleise dahin aus Sicherheitsgründen nicht überschreiten, weil vorher noch aus entgegengesetzter Richtung ein Zug einlaufen musste.
Ihren Ärger machten sie vielfach über die damaligen Lokalzeitungen öffentlich. Wobei sich jene manchmal selbst einbrachten. Ein Redakteur des „Trebsener Anzeiger“ (Nr. 67, 20. Dezember 1924) schrieb: „Da es in kleinen Orten oft nicht Verkehrsvereine gibt, die die Wünsche des Publikums unterbreiten können, muß dies die Presse tun. Immer wieder muß auf die Unzulänglichkeit der Bahnverhältnisse hingewiesen werden… Wenn Arbeiter früh 5.30 Uhr zur Arbeit fahren, erst abends um 8 Uhr zurückkommen, kann man die Missstimmung dieser Leute verstehen… Jeder ist froh, wenn er nach 14 Stunden wieder nachhause kommt. Jede Minute ist da zuviel… Hoffentlich wird dem Berichterstatter nicht so geantwortet, wie er es jüngst einmal hörte… ‚Davon verstehen Sie nichts.’“
Um den „unhaltbaren Zuständen“ abzuhelfen, wurde die Stadt Brandis 1925 Mitglied des neu gegründeten „Sächsischen Verkehrsverbandes“, während die Stadt Trebsen 1927 dem „Verkehrsverband Wurzen und Umgebung“ beitrat. Vermutlich erreichte man damit noch im selben Jahr endlich eine (!) direkte Verbindung am frühen Morgen nach Leipzig. Nicht genug allerdings in den Augen der Reisenden. Sonst wäre es wohl kaum zu dem außergewöhnlichen Vorfall gekommen, über den die „Leipziger Neueste Nachrichten“ in ihrer 15. Beilage am 27. Januar 1929 berichteten: „Nur wenige Kilometer vor den Toren der Weltstadt Leipzig (müssen) die Eisenbahnreisenden… täglich unter geradezu gesundheitsschädlichen und hygienisch bedenklichen Verhältnissen in Beucha… Aufenthalt nehmen, bevor sie in die Großstadt an ihren Arbeitsplatz gelangen können… Die Reisenden weigerten sich daher, den Zug in Beucha zu verlassen, und der Stationsvorsteher konnte sie nur durch Drohen mit der Bahnpolizei und Abschieben der Waggons auf die freie Strecke zum Aussteigen zwingen“.
Ob es die in solcher Art aufgezwungenen Zweckgemeinschaften oder nur die gemeinsamen täglichen Bahnfahrten waren, durch die sich die Reisenden näher kannten? Zumindest erwies es sich manchmal von Vorteil, wenn „man auch selbst bekannt (war)“, wie Renate Sturm-Francke in den „Nachrichten für Grimma“ am 30. Oktober 1943 schrieb. Hintergrund war, „dass eine ältere Dame, die in Leipzig Weihnachtseinkäufe gemacht hatte, in Beucha verfehlte, umzusteigen. Zu spät bemerkte sie das Versäumte und verlor aus dem schon wieder anfahrenden Dresdener Zuge das Paket mit den neuen Schlittschuhen. Man hatte es jedoch… bemerkt. Von Grimma aus musste die Trebsenerin nun den weiten Fussmarsch antreten. Kurz hinter Hohnstädt aber kam ihr ein Geschirr entgegen, um sie abzuholen, denn… der Beuchaer Bahnhof (hatte) … den Ehemann angerufen und ihn vom Reisepech seiner Frau verständigt.“
Damit uns nicht Ähnliches passiert, haben wir den Zug, mit dem wir hier ankamen, natürlich längst verlassen. Am Bahnsteig 3 fährt der nur am Sonntagvormittag verkehrende Zug „P 3409“ von Leipzig nach Trebsen ein. Zum Betrachten des Zuges bleibt nicht viel Zeit, er hat hier nur eine Minute Aufenthalt! Doch dafür – und vor allem für die jeweils nur geplanten 30 Sekunden Haltezeit an den folgenden Stationen – sind die Wagen bestens ausgelegt: Alte preußische Abteilwagen, die der Volksmund, der vielen Türen wegen, „Tausendtürenwagen“ nennt. Durch die von außen in jedes Abteil führenden Türen können die Fahrgäste schneller ein- und aussteigen. Das verkürzt die Haltezeiten an den Bahnhöfen erheblich und damit die Gesamtfahrzeit des Zuges. Die leichten Wagen (unser Zug bringt etwa 250 t auf die Waage) ermöglichen dazu eine raschere Beschleunigung. Bereits zur Zeit ihrer Beschaffung lautete im damals oft krisengeschüttelten Deutschland die Devise: Zeit ist Geld!
Zudem setzten die Leipziger Bahnbetriebswerke auf dieser Nebenbahn schon immer alle im Bestand verfügbaren Wagengattungen ein. Und so werden die Stammzüge zwischen Beucha und Trebsen bis Ende der 1960er Jahre aus mehreren dieser drei- oder vierachsigen Abteilwagen gebildet. Selbst der Lokomotiveinsatz folgte diesem Prinzip. Neben alten Länderbahnmaschinen wurden auch neue Bauarten eingesetzt, die man gerade erhalten hatte und für die die Strecke ausgelegt war. Sogar große Einheitslokomotiven der Baureihe 50 sah man vor Personenzügen.
Durch die niedrige Achslast konnte die Lokomotiv-Baureihe 50 Nebenbahnen mit leichterem Oberbau befahren. 50 339 wurde 1940 bei Henschel & Sohn gebaut und war bis November 1943 im Bw Engelsdorf beheimatet. Heizer Willi Hoffmann (links) und sein „Meester“ machen auf Gleis 4 in Beucha noch Pause, bevor sie den Personenzug wieder nach Trebsen fahren. (Foto: Sammlung Frank Patzsch)
Planmäßig ist heute unsere Zug-Lok eine Nachkriegs-Neubau-Dampflok der Baureihe 65.10.
Keinen Augenblick zu spät haben wir die Tür geschlossen, schon pfeift der „Rotbemützte“. Im Abteil treffen wir auf Günter Meyer aus Aue, der Jahre später als Eisenbahnfotograf sehr große Bekanntheit erlangen wird. Gleich uns ist er heute nach Trebsen unterwegs, von wo er über die Mulde nach Neichen will. „Schmalspur-Herrlichkeiten fotografieren“ verrät er leise. Denn das Fotografieren von Eisenbahnanlagen in der DDR ist verboten. Diesem Grund sowie den sehr kurzen Haltezeiten geschuldet, wird er unsere Strecke auch nur in wenigen, aber dennoch interessanten Schnappschüssen aus dem Abteilfenster heraus ablichten. Erstmals beim nächsten Halt – in „Beucha-Ost“.
Teil 2: Der urige Haltepunkt Kleinsteinberg
Einer der kürzesten, wenn nicht gar der kürzeste Streckenabschnitt zwischen zwei Eisenbahnhaltepunkten überhaupt, befindet sich zwischen Beucha und Kleinsteinberg. Nach Abfahrt in Beucha rollt unser Zug auf der „Trebsener Schiene“, die nach etwa fünfhundert Metern in einer weiten Linkskurve von der Bahnlinie Borsdorf-Grimma-Döbeln-Meissen-Coswig abzweigt. Noch weitere dreihundert Meter geht es vorbei an Wiesen, einigen Gärten und Wochenendhäuschen. Links neben uns enden die Beuchaer Bahnhofsgleise 4 und 5. Hier irgendwo sollen ein paar Schienen die Aufschrift “Koenig Georg“ und „1895” tragen. Dieses Kuriosum soll es wohl bis etwa 1990 geben. Kurios vor allem, weil der sächsische König 1895 noch Albert hieß und sein Bruder Georg erst 1902 dessen Nachfolger wurde. Leider entdecken wir heute nichts davon. Aber vielleicht hatte ein Leser bessere Augen? Oder eine Fotokamera dabei?
Nach dem langsamen Queren eines ungesicherten Wegüberganges erreichen wir – exakt nach 0,820 Kilometern und zwei Minuten Fahrtzeit – „Beucha-Ost“.
Dieser Haltepunkt stand nie im wirtschaftlichen Interesse der Eisenbahnverwaltung und war denn auch weder zu Zeiten des Bahnbaus noch in den ersten Betriebsjahren vorgesehen. Nur die Stadt Brandis bekam als einzige mit Eröffnung der Bahnlinie am 10. Dezember 1898 den Personenverkehrsanschluss. Doch alle anderen an der neuen Linie liegenden Gemeinden kämpften vehement weiter für einen solchen Haltepunkt. Natürlich bezogen die „Bittsteller“ dazu die Muldentaler-Natur mit all ihren Vorzügen ein. So in einer Petition vom 1. November 1898: „Die an der Linie Brandis-Seelingstädt liegende Gegend ist reich an Naturschönheiten aller Art, an ausgedehnten Waldungen, an Bergen,… lohnenden Aussichtspunkten, schon gegenwärtig ist dieselbe ein beliebter Ausflugsort Leipzigs Bewohner. Viele dortige Schulen und Vereine suchen seit… Jahren oft und gern in unseren herrlichen Wäldern Erholung und Erfrischung. Doch nur durch anstrengend lange Fußtouren oder durch hohe Unkosten… lässt sich gegenwärtig ein Besuch hiesiger Gegend ermöglichen und dabei (haben die Großstädter) … ein großes Interesse daran, dass ihnen diese… durch Einführung eines Personenverkehrs… zugänglich gemacht werden.“
Die mehrfachen Anfragen der Anrainer und der bereits im ersten Betriebsjahr erzielte Gewinn ließen die Kgl. Sächs. Staatsbahn schließlich einlenken. Sie genehmigte den Haltestellenbau in Ammelshain, Altenhain und Seelingstädt und die Aufnahme des Personenverkehrs ab dem 1. Oktober 1899. Nur für Kleinsteinberg erfüllte sich dieser Wunsch noch nicht. Allerdings wurde der Gemeinde, insbesondere nachdem Jagdforstbesitzer Wagner das Land unentgeltlich zur Verfügung stellte, freigestellt, die Haltestelle auf eigene Kosten einzurichten. So kam es denn auch bald darauf zum Bau des Haltepunktes „Kleinsteinberg“.
Mit Beginn des Sommerfahrplanes am 1. Mai 1901 wurde dieser festlich eingeweiht. „Der mit Girlanden geschmückte erste Frühzug wurde mit Musik empfangen. Nachdem die Vertreter der Gemeinde und ein zahlreiches Publikum im Zug Platz genommen hatten, ging’s mit Musik nach Beucha und von da über Kleinsteinberg zurück nach Brandis, wo im Parkschlösschen und im Döblerschen Restaurant eine kleine gesellige Frühfeier stattfand.“
Die neue Bahnstation blieb zunächst sowie auch die meiste übrige Zeit unbesetzt und wurde von Beuchaer Eisenbahnern betreut. Nur während kurzer Zeitabschnitte war die Haltestelle später hauptsächlich mit EisenbahnerInnen besetzt. Diese verkauften Fahrkarten, nahmen Gepäck an und bedienten das kleine Stellwerk „Bo“ (ehemals linksseitig in Richtung Brandis gelegen). Ansonsten hielten Personenzüge in Kleinsteinberg nur „bei Bedarf“. Dieser war am stärksten, wenn Wandergruppen die damals noch nicht gänzlich abgebrochenen hiesigen Bergkuppen erkundeten. Oder wenn es die Großstädter in die Sommerfrische und in ihre Wochenendhäuschen in Klein- und Waldsteinberg zog. Schon 1927 hatte sich die in Nähe des Haltepunktes gelegene Lauben-Kolonie auf 50 Siedler ausgedehnt.
Erhalten gebliebene Fahrkarten bezeugen, dass hauptsächlich Leipziger Ausflügler und Wochenendhausbesitzer die Bahnverbindung mit Halt in Kleinsteinberg nutzten. Letztere luden sich dann auch oft Gäste ein – siehe die Einladung vom August 1944 –, die ebenfalls per Bahn an- und abreisen konnten. (Fahr- und Einladungskarte: Sammlung Dirk Reinhardt)
Auch außergewöhnliche Situationen zwangen später viele Leipziger dazu, wie nachstehend in einer Januar-Ausgabe der „Nachrichten für Grimma“ von 1944 zu lesen ist: „In den Fahrplänen wurde bis vor kurzem die Haltestelle Kleinsteinberg… mit der Fußnote ‚hält nur bei Bedarf’ versehen. Wenn jetzt einer diese Strecke fährt, der sie lange nicht gefahren ist, so wird er sich wundern, was für ein Verkehr dort herrscht. All die vielen Waldsteinberger Siedler benutzen die Haltestelle Kleinsteinberg. Waren es im vorigen Winter nur wenige, die während der kalten Jahreszeit ihr Wochenendhäuschen aufsuchten, so ist es in diesem Winter anders. Für manchen ist die Sommerwohnung die einzige Bleibe, nachdem ihm in der Schreckensnacht zum 4. Dezember seine Stadtwohnung in Leipzig genommen wurde. Viele von denen, die schon länger in Waldsteinberg wohnen, haben Einquartierung bekommen; auch diese geht täglich ihrer Arbeit in der Stadt nach. Es bringt jeder Abendzug eine ganze Menge Menschen mit“.
Sicherlich nutzten die Ausgebombten die Häuschen in Wald- und Kleinsteinberg auch nach dem Krieg noch eine gewisse Zeit. Allerdings stiegen sie vier Jahre nach Kriegsende an einer „neuen“ Haltestelle aus. Am 10. Mai 1949 veröffentlichte die für die Strecke zuständige Reichsbahndirektion Halle eine Meldung, nach der der Haltepunkt Kleinsteinberg „mit sofortiger Wirkung in Beucha-Ost umbenannt (wird).“ Unklar blieb bisher jedoch der Grund für diese Umbenennung.
Der Haltepunkt ist einfach ausgestattet: Ein kleines Holzhäuschen mit Fahrkartenschalter und Warteraum, der neben Holzbänken einen Ofen aufwies, der „beim Warten auf verspätete Züge wohlige Wärme verbreitete“, wie Käte Löhr im Buch „Beucha – ein Dorfrundgang“ berichtet. Daneben zwei alte Wagenkästen, die als Lagerraum dienten. Sowie ein überdachter, umzäunter Schuppen, in den „Wochenkartenbesitzer… ihr Fahrrad… einstellen (konnten), tägliches Einstellen kostete 20 Pf.“ Der Wasseranschluss des kleinen Haltepunktes „lieferte“ zudem wohl noch so gutes Wasser, dass die Waldsteinberger, wenn sie „schmackhaften Kaffee kochen (wollten)… am Bahnhof Wasser (holten), denn das eisenhaltige Brunnenwasser war nicht so beliebt“. Unbekannt ist, ob hinterher auch das einige Meter abseits stehende, typische Toilettenhäuschen stärkere Nutzung erfuhr. Dieses war ja nur für Bahnreisende gedacht, weil es in den früheren Personenwagen keine Toiletten gab.
Als unser Zug wieder anfährt, gelingt Günter Meyer aus dem Abteilfenster heraus noch ein Foto der urigen Haltestelle. Zum Glück! Es wird vermutlich das letzte sein. Denn Ende der 1960er Jahre wird diese „Bahnhofsgemütlichkeit“ durch einen offenen Wellblechunterstand und einen ebensolchen Fahrradständer ersetzt.
Vermutlich das letzte, vielleicht sogar das einzige Foto des Haltepunktes Beucha-Ost (ehemals Kleinsteinberg) in fast ursprünglicher Ansicht vom 13. Dezember 1964? (Foto: Günter Meyer)
Teil 3: Der Stolz der Brandiser – ihr Bahnhof
Nach Abfahrt vom Haltepunkt Beucha-Ost geht es zunächst gradlinig in Richtung Brandis. Schon bald kommt im Bogen von rechts der Gleisdamm der ehemaligen „Wechselstelle Bruch“ heran. Mit Eröffnung der Bahnstrecke Beucha-Seelingstädt zum 10. Dezember 1898 ging dieser Zweiggleis-Anschluss im Güterverkehr in Betrieb. Doch neben dem gleichfalls eröffneten über 2 km langen Gleis zu den Seelingstädter Hengstberg-Steinbrüchen, war der Vertrag zu Ersterem schon vor Beginn der eigentlichen Bahnbauarbeiten (am 1. April 1898) zustande gekommen. Bereits 1897 hatte der Brandiser Rittergutsbesitzer Friedrich von Pentz die Bedienung seines privaten Gleisanschlusses zum Kohlenberg-„Westbruch“ beantragt. Dem Antrag wurde entsprochen und der Vertrag Ende Mai 1897 abgeschlossen.
Infolgedessen stellte Freiherr von Pentz seine zu diesem Zeitpunkt zum Beuchaer Bahnhof betriebene Feldbahn ein. Diese Werkbahn wies die in unserer Region ziemlich ungewöhnliche Spurbreite von 900 mm auf. Zum Transport der Wagen mit gebrochenen Steinen diente eine kleine zweiachsige Bn2t-Dampflok mit der Fabriknummer 193. Von der Erfurter Firma Christian Hagans war jene am 22. Juli 1886 nach Brandis geliefert worden. Was zum Zeitpunkt unserer heutigen Reise niemand wissen kann: Der 1963 stillgelegte Gleisanschluss wird in zehn Jahren das Baumaterial zur Errichtung des Bahnanschlusses für das neue Agrochemische-Zentrum liefern.
Nach dem Passieren eines Bahnüberganges legt sich der Zug in eine Rechtskurve, wir rattern über eine Weiche und halten am Kilometer 3,175. Bahnhof „Brandis“.
Schon das große, aus gelben Klinkern errichtete Empfangsgebäude verdeutlicht die Wertigkeit der Bahnstation und anderer Errungenschaften der Kleinstadt. Dieses Selbstbewusstsein spricht auch aus einem Zeitungsbericht vom 31. Juli 1898: „Die Reisezeit hat jetzt den Höhepunkt erreicht und tausende ferienbeglückte Menschenkinder ziehen hinaus in Gottes schöne Welt. Unsere Stadt liegt zwar nicht an der großen Touristenstraße, aber der feinere Naturkenner kommt besonders gern in unsere Gegend. Bietet doch dieselbe, abgesehen von der reinsten ozonreichsten Luft, alles das, was sich der großstadtmüde Bürger wünscht: sumpffreie, prachtvolle Laub- und Nadelwälder, reizende Ausflüge auf Höhen mit entzückender Fernsicht; ferner sehr gute Gasthöfe, Restaurants, Ärzte, Apotheke, Post und Telegraphie, günstige Bahnverbindung u.s.w. Die Stadtverwaltung hat nie nötig gehabt, die Reklametrommel zu rühren. Vielmehr hat diese das bessere Ziel im Auge gehabt, den Wohlstand durch Heranziehung industrieller Werke zu heben. Infolge des günstigen Bodenreichtums an Kohlen, Thon und Lehm baut man dieses Jahr zwei große Verblendwerke.“
Die genannte „günstige Bahnverbindung“ war bei Erscheinen des Artikels allerdings erst im Bau. Und auch wenn die gleichzeitige Herausstellung von Naturschönheiten und Industrie heutigen Marketingstrategen wohl einen tiefen Stich ins Herz versetzt, waren es gerade diese Faktoren, die den Brandisern nach jahrzehntelangem „Kampf mit allen Mitteln“ endlich den ersehnten Bahnanschluss verschafften.
So war denn auch der Brandiser, der in der „Eingesandt“-Rubrik der lokalen Zeitung seinen „Festgruss zur Eröffnung der Königl. Sächs. Staatseisenbahn in Brandis“ hinterließ, mächtig stolz: „Auf, auf, Du liebes Brandis! Warum so zag’ und bang? Dem Herrscherthrone Sachsens zoll’ freudig heute Dank! Die Bahn, die ist der Schlüssel zur Hebung unsrer Stadt. Sind für sie nöthig Mittel, so ist’s um sie nicht schad’. Sieh’, wie schon jetzt Fabriken, uns spenden Steuerkraft: Wie Handel, Wandel schicken sich mit der Landwirthschaft! Drum lasst den Dank heut’ lauten für unsre Eisenbahn: Hoch leben, die sie bauten und uns verwilligt hab’n!“
Der Name des Schreibers ist leider nicht überliefert, jedoch machten es ihm jetzt andere nach. Einige Geschäftsinhaber ließen die Brandiser Bahnstation als Ansichtskartenmotiv verlegen.
Über 100 Jahre alt sind die oben und nachstehend abgebildeten Ansichtskarten. Neben dem Werbeeffekt für die Geschäftsleute spiegeln sie auch den Stolz der Brandiser auf ihre Eisenbahn wieder. Die obere Ansichtskarte wurde von Hugo Seifert verlegt und lief am 16. Februar 1905 nach Naunhof. Rechts ist der zweigleisige Privatanschluß der Mitteldeutschen Ton- und Kohlewerke abgebildet. (Sammlung Dirk Reinhardt)
Der unten abgebildete Ausschnitt gehört zu einer Karte, die der Besitzer des Brandiser Parkschlösschens, J. Herrmann, in Auftrag gegeben hatte. Diese wurde am 28. Oktober 1901 verschickt und zeigt eine sächsische V II T-Dampflok (spätere Baureihe 98.7) mit leider nicht zu entziffernden Namen. (Sammlung Dirk Reinhardt)
Im Verlag von F. G. Hessel, Brandis, erschien die nachfolgende “Lunakarte” der Brandiser Bahnstation. Der bei direktem Lichteinfall bunt-fluoreszierende Effekt wurde durch den Aufdruck einer Silberlegierung erreicht. (Sammlung Dirk Reinhardt)
Durch die damaligen Ansichtskarten, insbesondere die abgebildeten, sind bis heute einige Details der Eisenbahnstrecke aus den ersten Betriebsjahren um 1900 verewigt. Das betrifft unter anderem die eingesetzten Lokomotiven.
Beispielsweise eine 40 km/h schnelle, zweifach gekuppelte Tenderlok, die ab 1882 bis 1894 von der Sächsischen Maschinenfabrik vormals Richard Hartmann in Chemnitz gebaut und von der Königl. Sächs. Staatseisenbahn unter der Gattung VII T geführt wurden. Zunächst kamen viele dieser Maschinen bei der „Windbergbahn“ zum Einsatz. Das war auch erste Station der 1890 mit der Fabriknummer 1647 gefertigten Dampflok „Fr. List“. Nach Friedrich List, dem Begründer des deutschen und insbesondere des sächsischen Eisenbahnwesens, benannt, soll die Maschine 1898 auch die erste auf „unserer“ Strecke gefahrene Lokomotive gewesen sein. Daran erinnerte sich der Borsdorfer Eberhard Kundisch im „Rundblick“ 1962. Zwar übernahm die Deutsche Reichsbahn Gesellschaft (DRG) 1925 noch einige Lokomotiven dieser Art als Baureihe 98.70, jedoch wurde die „Fr. List“ im gleichen Jahr ausgemustert.
Zwischenzeitlich hatten selbstverständlich andere Maschinen hier ihren Dienst begonnen. So die sächsischen Gattungen V und V V, dreifach gekuppelte Schlepptenderlokomotiven, die ab 1859 bzw. 1885 bei Hartmann für Güterzugleistungen beschafft wurden. Die DRG ordnete einige Maschinen noch als Baureihen 53.8 bzw. 53.6-7 ein, musterte deren letzte Vertreter aber bis 1930 aus. Daneben liefen Maschinen der Bauart V T (spätere Baureihe 89.2). Im Personenzugdienst kam außerdem die Gattung III b V (BR 34.7) zum Einsatz, dann die IV T (BR 71.3), denen später die ehemals preußischen T 12 (BR 74) und P 8 (BR 38.10) folgten.
Selbst einige Exoten, übrig gebliebene Einzelgänger und kurz vor der Ausmusterung stehende Lokomotiven, kamen auf der Trebsener Nebenbahn zu Diensten. Solch’ eine Exotin war zum Beispiel eine Maschine der Gattung XVI T. Diese so genannte Doppellok lief hier um 1920.
Anfänglich waren alle Lokomotiven der Bahnlinie Beucha-Seelingstädt im zweiständigen und mit einer Reparaturgrube ausgestatteten Brandiser Lokomotivschuppen untergebracht. Erst mit der Verlängerung der Bahnstrecke nach Trebsen-Pauschwitz 1911 und der Errichtung der dortigen Lok-Station 1912 fanden in Brandis nur noch Rangierlokomotiven Unterstand.
Bei Abfahrt des Zuges aus dem Fenster zurückblickend, sehen wir den hölzernen Schuppen noch am westlichen Bahnhofskopf stehen. Doch wieder ahnt niemand, dass dieser, 1973 von einigen ungesichert abgestoßenen Güterwagen „neben die Fundamente gesetzt“, schließlich gänzlich abgerissen werden wird.
Der Brandiser Bahnhof, am 13. Dezember 1964 aus dem Abteilfenster heraus fotografiert. In Bildmitte sieht man den hölzernen Lokschuppen, der nur noch Rangierlokomotiven, wie hier der Kleinlok „Kbf 5216“, als Unterstand dient. (Foto: Günter Meyer)
Teil 4: Der Haltepunkt am Polenzer Braunkohlentagebau
Wir verlassen den Brandiser Bahnhof nach Südosten. Rechts erstreckt sich der gelbe Gebäudekomplex der ehemaligen Mitteldeutschen Ton- und Kohlewerke –, jetzt ist das Hohlziegelwerk ein Betriebsteil des VEB Baustoffwerke Lübschütz. Holbrig überquert unser Personenzug eine von links einmündende Weiche. Hier beginnt die Werkanschlussbahn vom Silikatwerk, von dem außer den hohen Schornsteinen, die sich über die Baumwipfel erheben, nichts erkennbar ist. Neben den Sächsischen Tonwerken, den Brandiser Tonwerken und dem Tonwerk Byczkowski (mittlerweile alle zum VEB Schamottekombinat Brandis vereinigt) dient die Anschlussbahn auch der Verkehrsabwicklung des früheren Luftwaffen- und nunmehrigen sowjetischen Fliegerhorstes in Waldpolenz.
Zwischen Brandis und dem nächsten Halt in Ammelshain liegt der längste Fahrtabschnitt dieser Strecke. Die Reise durch die Wald- und Wiesenlandschaft genießen wir vom Abteilfenster aus. Und sehen einen „mit kargen Birken bestandenen Wald“, wie es Renate Sturm-Francke 1962 im „Rundblick“ beschreibt, wo „quer der Bahn Entwässerungsgräben (laufen). Die Erde ist schwarz, die Kohle erschöpft, der tonige Untergrund undurchlässig, so daß Pfützen und Lachen sich häufen und hie und da auch dem Wuchs junger Erlen begünstigen.“ Jahrzehnte wurde rund um Brandis Kohle abgebaut. Allerdings reichte deren Qualität nur als Zuschlagstoff für die hiesige Ziegelindustrie. Sichtbare Zeichen des früheren Braunkohlenabbaus sind „Wasserlöcher“ genannte Senken in den Feldern.
Ein weiterer Zeuge sind die steinernen Reste, die kurz darauf links der Bahnstrecke, in etwa bei Kilometer 5,5 auftauchen. Hier handelt es sich aber um die Fundamente einer Braunkohlenverladeanlage, die erst nach dem 2. Weltkrieg errichtet wurde. In dieser Zeit war die Versorgungslage mit Brennstoffen im deutschen Osten katastrophal. Durch die Aufteilung Deutschlands in Besatzungszonen war das sowjetisch besetzte Gebiet faktisch ausgeschlossen von den Steinkohlevorkommen an Ruhr und Saar sowie in Schlesien. Zwar war Braunkohle ausreichend vorhanden, jedoch waren die großen Kohlenwerke noch teilweise kriegszerstört oder von der Besatzungsmacht demontiert. Der Winter 1946/47 erwies sich als besonders verheerend. Vor allem in der Stadt Leipzig. Notwendigerweise mühten sich die Stadtväter um Abhilfe. Diese sollte in der Erschließung von nahe liegenden Braunkohlekleinstvorkommen liegen. Die Leipziger wurden „fündig“, 15 Kilometer entfernt, bei Polenz – hier an der Bahn!
Gutachter bescheinigten dem Polenzer Kohleflöz eine gute Qualität und Mächtigkeit (ca. 1,5 Millionen Kubikmeter in 3,5 m Stärke) in nicht zu großer Tiefe (3 – 7 m). Das ließ einen Abbau im Tagebau zu. Und da die Kohlengrube mit einem Anschlussgleis an die vorbeiführende Eisenbahnstrecke angebunden werden konnte, beschloss der Stadtrat das Projekt. Unter dem Slogan „Kohle für Leipzig!“ warb man nun um freiwillige Arbeiter aus allen Teilen der städtischen Bevölkerung zur Erschließung des Tagebaus. Mehrere Tausend Menschen leisteten von Juli 1947 bis März 1948 „Aufbauarbeit“, schufteten „in Schlamm und Dreck, in zehn- bis zwölfstündiger Arbeit, von fünf bis neunzehn Uhr auf den Beinen, … ohne ausreichende Schutzkleidung“, manche sogar ohne Schuhe. Und hatten noch dazu mit vielen weiteren Hindernissen sowie größeren technischen Schwierigkeiten zu kämpfen. Fehlten zuerst Bagger und Feldbahnloks durch verzögerte oder gar abgelehnte Bereitstellung, waren diese dann oft kaputt.
So ist es nicht verwunderlich, dass im folgenden Winter nur ein einziges Mal Kohle nach Leipzig geliefert wurde: Am 15. Dezember 1947 fuhren sechs „tannengrün geschmückte Waggons mit brauner Fracht“ nach Leipzig. Diese etwa 100 t wurden wahrscheinlich direkt am Streckengleis auf die Waggons verladen, denn eine andere Möglichkeit bestand damals noch nicht. Das beantragte regelspurige Gruben-Anschlussgleis ließ auf sich warten. Der erste Bauantrag war „verloren gegangen“ und selbst mit dessen späterer Genehmigung und schon beauftragter Baufirma fehlte zunächst das Material. Deshalb ging im Sommer 1948 eine provisorische Verladung in Ammelshain in Betrieb. Über ein drei Kilometer langes Feldbahngleis wurde die Rohbraunkohle zum Gleisanschluss des Zachmann’schen Steinbruchs gebracht, wo sie in Reichsbahnwaggons umgeladen wurde. Erst Anfang Oktober war der eigene Bahnanschluss – 520 m Gleis, die mit zwei Weichen an die Bahnstrecke angebunden wurden – fertig zur Inbetriebnahme. Ebenso die Verladeanlage. Zwei Schrägaufzüge beförderten ab 14. Oktober die per Feldbahnloren aus der Grube herantransportierte Kohle auf die von der Deutschen Reichsbahn (DR) gestellten Wagen.
Damalige Tageszeitungen wie die „Leipziger Volkszeitung“ oder die „Tägliche Rundschau“ berichteten über die Fortschritte des Polenzer Braunkohletagebaus. Manchmal sogar über dessen Behinderungen, wenn auch im propagandistischen Stil dieser Zeit. (Collage: Dirk Reinhardt)
Ab dem gleichen Tag arbeitete die mittlerweile 225 Mann starke Grubenbelegschaft im 3-Schicht-System. Doch damit ergab sich das nächste Problem. Bis dato hatte der An- und Abtransport der Grubenarbeiter relativ gut funktioniert. Bereits mit Erschließung des Tagebaus reisten die freiwilligen Arbeitskräfte nämlich per Eisenbahn an. Anfänglich hielten damals alle fahrplanmäßigen Züge zwischen Beucha und Trebsen am „provisorisch eingerichteten Haltepunkt Polenz“. Ende September 1947, als der zweischichtige Rhythmus eingeführt worden war, machten nur noch zwei Züge je Richtung Station am Tagebau. In diese reihte die Reichsbahndirektion zusätzliche Sonderwagen, so genannte „Schichtwagen“, ein. Und ließ die Zugpaare, den Arbeitszeiten in Polenz angepasst, durchgängig von und zum Leipziger Hauptbahnhof fahren. Ab November 1948 wollte die DR aber einen neuen Fahrplan mit zeitlich stark veränderten Zugverbindungen auf der „Trebsener Schiene“ einführen. Wegen der nicht mehr abgestimmten Fahrzeiten, kam es jedoch zu äußerst massiven Protesten der Polenzer Kumpel. Vermutlich führten Gespräche auf höherer politischer Ebene am 29. November zur Zurücknahme des geänderten Fahrplans. Und noch ab diesem Tag hielten sogar wieder alle Züge am „Haltepunkt Polenz“!
Der Tagebau Polenz als KWU der Stadt Leipzig in einem Adressbuch der Stadt von 1949. (Collage: Dirk Reinhardt)
Der Tagebau Polenz, als Kommunales Wirtschaftsunternehmen der Stadt Leipzig fungierend, lieferte trotz aller Schwierigkeiten 1948 insgesamt 21.419 t Kohle, 1949 gar 89.000 t. Doch schon ab dem Sommer war das Selbsthilfeprojekt ein Auslaufmodell. Ein ehemals geplanter Neuaufschluss wurde nicht mehr in Angriff genommen. Hauptgrund war, neben den stetig reparaturbedürftigen Anlagen und Geräten sowie dem – weil dauernd subventionierten – unwirtschaftlichen Kohleabsatz, die Wiederinbetriebnahme der großen Braunkohlenwerke. „Polenz hat seine Aufgabe erfüllt!“ schrieb die „Leipziger Volkszeitung“ am 10. Juli 1949.
Als im September die Demontage begann und die meisten technischen Gerätschaften abgefahren wurden, war der größte Teil der Belegschaft bereits entlassen. Nur 30 ehemalige Kumpel arbeiteten hier noch bis zur Betriebseinstellung am 31. März 1950. Und erneut war es Eigeninitiative und sehr viel freiwillige Arbeit, die wenige Jahre später aus dem aufgelassenen Kohlentagebau das heutige Brandiser Waldbad entstehen ließ. Doch unser Zug dampft an all dem heute scheinbar so achtlos vorbei.
Die ehemalige preußische Personenzuglok P8 mit der Betriebsnummer 38 2911 (1921 gebaut von der Vulcan-Werke Hamburg und Stettin AG) dampft mit einem „Tausendtürenzug“ am „Braunkohlenrevier“ Polenzer Dammwiesen zwischen Brandis und Ammelshain vorbei. (Fotos oben und unten: Archiv Frank Schimpke)
Teil 5: Ausflüge nach Ammelshain
Nach dem längsten Fahrtabschnitt der Reise, nähert sich unser Zug dem nächsten Haltepunkt. Einer leichten Linkskurve folgt ein ungesicherter Bahnübergang, dann lautes Quietschen und ein ruckelnder Halt – „Ammelshain“, Bahnkilometer 7,915.
Wir schauen rechts aus dem Fenster unseres Wagens. Schon tausende frühere Fahrgäste und Sonntagsausflügler hatten selbiges Bild vor Augen: Das hölzerne Haltestellengebäude mit Holzpflasterung, der „Freiabtritt“, die als Abstellräume genutzten alten Wagenkästen. Die in Jahrzehnten kaum veränderten Anlagen verströmen ein rustikales Flair. Nur das aus Klinkern errichtete Stellwerksgebäude, zwischen Warte- und Toilettenhäuschen hingesetzt, fällt etwas aus dem Rahmen. Es ist ja auch jünger.
Tausende frühere Fahrgäste und Sonntagsausflügler begannen am Bahnhof Ammelshain ihre Touren in die Natur. Das hölzerne Wartehäuschen, der „Freiabtritt“, die alten Wagenkästen, aber auch das aus Klinkern errichtete Stellwerksgebäude verströmen ein rustikales Flair. (Foto: Günter Meyer)
Schauen wir zur anderen Seite hinaus, fällt der Blick auf ein Bahnwärterwohnhaus. Dahinter erhebt sich die bewaldete Bergkuppe des Haselbergs. Oder zumindest was von dieser noch übrig geblieben ist, nach etwa 80 Jahren intensivem Steinabbaus. In der Gemeinde wähnte man sich damals klug, als man den „lästigen Berg“, für den bis dahin „eine recht beachtliche Steuer aufgebracht werden musste“, verkaufte. Für „ein Faß Braunbier“ – zumindest vermerkt es so die Ammelshainer Festschrift zur 600-Jahrfeier von 1958. „Doch bald zeigte sich, daß unter der äußeren nutzlosen Hülle ein Wert, ertragbringend für Jahrhunderte, schlummerte.“ Denn der zu dieser Zeit in unserer Region beginnende industrielle Steinabbau erkannte den Wert dieser Bergkuppe schnell. Während eine Karte am Haselberg 1876 drei Steinbrüche verzeichnet, findet man auf einer anderen von 1890 schon derer fünf. Beinahe ringförmig kratzten diese am Berg. Manche allerdings nur kurz. Geldnot führte zur Einstellung, aber auch fehlende Absatzmöglichkeiten. Erst 1898 gelang es den verbliebenen Unternehmern und Steinbruchsdörfern das „Tor zur weiten Welt“ zu öffnen. Dann mussten nicht mehr wie vorher „dreimal täglich… die Erzeugnisse dieser aufkeimenden Industrie (die je drei Gespanne des Herrn Möbius und die von Altenhain kommenden)… nach Naunhof zur Bahnverladung… holpern“. Jene konnte man nun auf die in unmittelbarer Nähe entlang führende Eisenbahnlinie verlasten. Wie hoch das Steinbruchs-Frachtaufkommen einst war (der zuletzt betriebene „Ostbruch“ wurde erst im September 1963 eingestellt), davon zeugt die mit 5 Gleisen ausgestattete Bahnstation.
Nicht zuletzt dadurch verbesserten sich seitdem auch wieder die früher von den schweren Pferdefuhrwerken durchfurchten örtlichen Strassen. Das mussten sie auch, denn Ammelshain – vor 1900 noch als „still und verträumt, umrauscht von dichten Waldungen“ beschrieben – hatte sich inzwischen als lohnendes Ausflugsziel einen Namen gemacht. Mit sieben Dorfteichen, einigen aufgelassenen, wildromantischen sowie mit klarem Wasser gefüllten Steinbrüchen, dem umliegenden Curts- und Planitzwald mit herrlichen Wanderwegen sowie Pilz- und Heidelbeerplätzen begnadet, stand der Ort sehr hoch in der Gunst großstädtischer Ausflügler. Selbst die Steinbruchstechnik fand deren Interesse.
Mit oben abgebildeter Postkarte warb der Ammelshainer Gastwirt Werner Zeibig um Ausflugskundschaft. Von seinem Gasthof waren es nur ein paar Meter zum Bahnhof. (Sammlung Dirk Reinhardt)
Und das diese frühen touristischen Ziele mit der Eisenbahn ab dem 1. Oktober 1899 günstig erreichbar waren, tat ein Übriges dazu. Nicht zuletzt waren es die Eisenbahnverwaltungen, die den um die Jahrhundertwende einsetzenden Erholungsverkehr ursächlich förderten: Um die an Wochenenden und Feiertagen weniger ausgelasteten Zugverbindungen zu füllen, begannen die Staatsbahndirektionen nämlich damit, hierbei besondere Fahrpreisermäßigungen zu gewähren. Zunächst zeitlich auf die genannten Tage begrenzt, wurden Geltungsdauer und Reichweite bald verlängert. Da man nun von Freitag bis Montag bis über 100 Kilometer weit reisen konnte – bei 33 1/3 Prozent Ermäßigung (ab 1921) –, wurde die einst als Lückenbüßer gedachte „Sonntags-Rückfahrkarte“ zum Erfolgsmodell. Weil zwischen Ankunft und Abfahrt am jeweiligen Zielbahnhof meist eine erholsame Wanderung stand, wurden die Fahrkarten im Volksmund auch als „Wanderkarten“ bezeichnet.
Daneben gab es bei der Eisenbahn natürlich weitere ermäßigte Fahrkarten, Arbeiterwochen- und Monatskarten beispielsweise. Jedoch waren die Bahnverwaltungen in den damaligen Notzeiten bei allen Zeitkarten nie vor Missbrauch geschützt. Zur Vermeidung von Betrug und den damit verloren gehenden Einnahmen, “hatte Eisenbahn-Obersekretär Müller aus Dresden eine Idee“. Diese, schreibt der „Modelleisenbahner“ 1985 weiter, führte zu einer patentierten Erfindung – der „Zeitkarte mit einem Lichtbild im Blechrahmen“. Bis 1924 wurden diese Blechrahmenfahrkarten mit Lichtbildzwang praktisch erprobt und eingeführt. Allerdings bewährte sich das Verfahren nie so recht. Ständig wurde kritisiert, dass die Bestandhaltung der in fünf verschiedenen Systemen gebräuchlichen Blechrahmen sowie der hohe Zeitaufwand bei der Ausgabe an den Fahrkartenschaltern die Reisendenabfertigung behindere. So wurde 1934 die Ausgabe der Blechrahmenkarten eingestellt und die Fahrkarten in altbewährter Manier wieder kontrolliert und gelocht.
Neben den „normalen“ Edmondsonschen Fahrkarten wurden eine zeitlang auch solche im Blechrahmen ausgegeben – aber nur echt mit eigenem Lichtbild! (Fahrkarten: Sammlung Dirk Reinhardt)
Bei der Betrachtung unserer Fahrkarte für die heutige Reise fällt jetzt auch ein weiteres kleines Kuriosum auf: Auf dieser ist nämlich die Abkürzung „DM – Deutsche Mark“ für den Fahrpreis aufgedruckt. Jene hatte mit der Währungsreform 1948 die alte Reichsmark ersetzt, jedoch mit unterschiedlichen Wertigkeiten in beiden deutschen Staaten. Doch da bis Mitte der 1960er Jahre auf ostdeutschen Preisausschilderungen der Zusatz „Mark der Deutschen Notenbank (MDN)“ fehlt (und auch auf unserer Fahrkarte nicht mit draufsteht!), zahlen, so gesehen, DDR-Bürger eigentlich eine Zeitlang auch mit „D-Mark“. Erst die zum 14. September 1974 eingeführte „Mark der DDR“, deren Münzen bis auf zwei Ausnahmen in Aluminium geprägt und schon bald im Volksmund als „Aluchip“ bezeichnet werden, beendet diesen Zustand. Die Fahrpreise selbst änderten sich in dieser Zeit kaum. Eine einfache Bahnfahrt 2. Klasse kostet seit den 1950er Jahren nur 8 Pf. pro Person und Kilometer. Für eine 2. Klasse-Sonntags-Rückfahrkarte Leipzig-Trebsen sind 3,60 MDN und für eine Arbeiter-Wochenkarte der gleichen Relation 4,00 MDN zu zahlen.
Die einzigen, die überhaupt keine Fahrkarte bezahlen mussten, waren Arbeitslose aus Leipzig anno 1930. Diese Episode aus der Zeit der Weltwirtschaftskrise liefert ein Zeitungsbericht, der mit „Fahrt ins Grüne“ überschrieben ist. Demnach sollen damals zwei Sonderzüge mit etwa 1600 Leipziger Arbeitslosen nach Ammelshain gefahren sein, damit sich diese in der umliegenden Natur für einen Tag von ihrem Schicksal erholen konnten. Die Kosten der Fahrt übernahm der Leipziger Milchhof, der jedem Teilnehmer, neben einem Eintopfessen, noch zusätzlich eine Flasche Milch spendierte. 1965 werden wieder zwei Sonderzüge nach Ammelshain unterwegs sein. Diesmal aber dürfen sich „werktätige Leipziger“ von ihrer schweren Arbeit in unseren Gefilden erholen…
Der schrille Abfahrts-Pfiff des Fahrdienstleiters reißt uns aus dem Abstecher in die frühere Tourismus-Metropole Ammelshain. Während sich unser Zug wieder in Bewegung setzt, läuft der Rotbemützte zurück an seinen Platz im Stellwerksgebäude. Wir wissen nicht, ob er in vierzig Jahren noch lebt. Doch beim Anblick des in der Nacht zum 30. Juli 2004 durch einen Brand zerstörten, rußgeschwärzten Häuschens ständen ihm ganz gewiss Tränen in den Augen.
Teil 6: Erst Steine, dann Munition: Bahnhof Altenhain
Kaum hat unser Zug die letzten Ausläufer der Ammelshainer Bahnstation hinter sich gelassen, taucht er auch schon in einen Mischwald ein. Die jetzt zwar laublosen aber zum Teil hohen Buchen und Eichen lassen die Strahlen der Wintersonne nur stellenweise bis hinunter zur Bahnschneise dringen. Im Sommer ist die Sicht durch das dann dichte Busch- und Blätterdach des Curtswaldes noch ungünstiger. Was hier gar ein Vorsignal zur Ankündigung der nächsten Haltestelle nötig machte. Jene erreichen wir, zusammen mit der fast parallel laufenden Landstraße – die erst 1959 „verbreitert und als staubfreie Strasse hergestellt“ wurde –, gleich darauf am Ende des Waldes.
Rechter Hand passieren wir einen aufgeschütteten Damm. Es sind die steinernen Reste der Rampe zur ehemaligen Verladeanlage der Steinbrüche Butter- und Klengelsberg, die Anfang der 1930er Jahre stillgelegt worden waren. In 50 Jahren wird hier eine modernere Rampe aus Beton stehen, über die der einige Jahre zuvor wiedereröffnete Steinbruch die gebrochenen Rohstoffe verladen will. Ob sich die Bahnverladung dann als sinnvollere Alternative zum neuzeitlichen, aber unsäglichen LKW-Verkehr entwickelt, wird wohl erst die Zukunft zeigen. Diese Zukunft wird das unmittelbar neben der alten Verladerampe errichtete Turmstellwerk, an dem wir jetzt gerade vorbeirollen, allerdings nicht mehr erleben. Aus den im Obergeschoss befindlichen großen Fenstern grüßen uns die Dienst tuenden Eisenbahner. Sie ahnen nicht, dass der an der Frontseite angebrachte Schriftzug „Altenhain b. Brandis“ das Einzige sein wird, was einmal von diesem Stellwerk übrig bleibt.
Ursprünglich war es für Ammelshain geplant. Die in den 1930er Jahren extrem angestiegenen Betriebsaufgaben der Strecke machten den Stellwerksbau dringend notwendig. Doch erst 1939 konkretisierten sich die Bauabsichten, nun allerdings in Altenhain. Denn neben der Bahnhofserweiterung mit einem vierten Gleis, sollte hier jetzt noch ein Gleis für die im Bau begriffene Munitionsanstalt („Muna“) des deutschen Heeres im hinteren Planitzwald hinzukommen. Dieser Gleisanschluss zweigte ab 1940 am Kilometer 10,362 links und parallel zum Anschlussgleis des Steinbruchunternehmens „Friedrich Zachmann KG“ (vorher „Altenhainer Hartsteinwerke AG“) von der Nebenbahnlinie ab. Zur Absicherung aller Zug- und Rangierbewegungen ging im Sommer 1943 dann endlich das Stellwerk in Betrieb.
Das Schotterwerk am Altenhainer Frauenberg (hier auf einer historischen Aufnahme von 1937) sorgte zusammen mit einer Asphalt-Mischanlage für ein hohes Güteraufkommen der Bahnstation. (Foto: Archiv Altenhainer Heimatverein e.V., AG Ortsgeschichte)
Zu dieser Zeit wurden von Altenhain aber schon keine Steine mehr versandt. 1941 war das Schotterwerk am Frauenberg abgebrannt und konnte wegen der kriegswirtschaftlich bedingten Reglementierung von Baumaterialien sowie eines Neubau-Verbotes der NS-Regierung nicht wieder aufgebaut werden. So musste der Steinbruch nach 50 Jahren Existenz den Betrieb zwangsläufig einstellen. Ohnehin waren mittlerweile der Antransport von Munitionsteilen und Pulver sowie die Abfuhr der daraus gefertigten, schussbereiten Munition verschiedenster Kaliber an die Fronten des Zweiten Weltkrieges zum hauptsächlichen Beschäftigungsfeld der Eisenbahn in Altenhain geworden. War dieses damit schon gefährlich genug, wurde es durch die Einlagerung von Giftgas-Granaten noch weitaus gefährlicher. Genaue Angaben zum damaligen Güterumschlag können bisher nicht gemacht werden, weil entsprechende Dokumente seit Kriegsende 1945 nicht mehr vorhanden sind. Oder noch nicht aufgefunden wurden. Zu vieles unterlag der Geheimhaltung.
Wegen jener endete das Gleis in das Militärobjekt für die Altenhainer Eisenbahner meist schon nach 1,5 Kilometern an der westlichen Toreinfahrt. Oder kurz danach, an der sich anschließenden dreigleisigen „Wagenübergabestelle“. Nur ganz wenigen Reichsbahnern war es möglich, einige weitere Meter der im Inneren des eingezäunten Waldgebietes verbauten Gleise zu befahren. Auf insgesamt 10,28 km Länge brachte es der Militäranschluss in seiner größten Ausdehnung.
Dampflokomotiven durften das Gebiet mit seinen knapp einhundert Erdbunkern aus Brandschutzgründen (Funkenflug) ebenfalls nicht befahren. Deshalb übernahmen wehrmachtseigene Diesellokomotiven die Rangieraufgaben. Die für den Einsatz in Munitionsanstalten vorgesehenen WR 360 C-Lokomotiven (spätere Baureihe V36) standen jedoch nicht ausreichend zur Verfügung. So griff man zunächst auf Kleindieselloks zurück. Auch für die Altenhainer Anlage ist eine so genannte „Kö“ nachweisbar. Diese wurde 1934 bei der Firma Krupp gebaut und war bei der Reichsbahndirektion Kassel als Kö 4603 eingesetzt. Am 1. Dezember 1942 erhielt sie vom Oberkommando des Heeres den Abkommandierungsbefehl zur Altenhainer Muna. Hier blieb sie wohl bis Kriegsende 1945, gilt seitdem als verschollen.
Den Vermerk „Verbleib unbekannt“ bekam Jahre danach auch eine weitere Kleinlok: Ende 1954 hatte die Sowjet-Armee die 1942 gebaute Köf 5007 von der Deutschen Reichsbahn erhalten. Zuerst im Objekt Kapen bei Dessau eingesetzt, wurde jene später nach Altenhain versetzt, wo sich ihre Spur verlor. Erst Jahrzehnte später, im August 2014, werden Fotos aus dem Erinnerungs-Album eines ehemals in Altenhain stationierten sowjetischen Soldaten dann einmal bezeugen, dass die Kleinlok zumindest 1975 hier noch vorhanden war.
Zumindest um 1975 dient die von der sowjetischen Armee in Altenhain genutzte Kleinlok Köf 5007 noch als Blickfang für Erinnerungsfotos, auch wenn sie da schon stark lädiert ist. (Foto: Gennadi Pastuchow)
Doch wir finden noch eine dritte Lok gleicher Bauart in Altenhain. Jene hatte der hiesige Bahnhof im Frühjahr 1953 erhalten, um den nach dem Krieg wieder ansteigenden und in der DDR favorisierten Güterverkehr per Eisenbahn ökonomisch abzuwickeln. Die 1935 bei Deutz mit der Fabriknummer 13698 gebaute Rangierlok war ebenfalls eine frühere Militärmaschine. Die „Beschaffungsstelle für Flughafenbau Berlin“ hatte das Triebfahrzeug nämlich für die Luftwaffen-Muna Hohenleipisch geordert, wo sie mit der Betriebsnummer 2844 im Einsatz war. Nach Kriegsende kam sie zur Reichsbahn, die sie als Kö 5751 in ihren Bestand übernahm. Heute hat die kleine, nur 7 m lange, aber immerhin 18 t schwere Lok nicht viel zu tun. Jedoch wird sie, am 1. Juli 1970 in 100 951-3 umgezeichnet, noch in den 1990er Jahren hier zuverlässig ihren Dienst versehen.
Neben anderen Reichsbahnern war Walter Petzold Kleinlok-Führer in Altenhain. 100 951-3 (ex Kö 5751) rollt auch noch ab und an in die Muna. In der weiterhin Munition gelagert wird, seit 1945 jedoch mit russischer Beschriftung. (Foto: Archiv Altenhainer Heimatverein e.V., AG Ortsgeschichte)
Inzwischen hat unser Zug das Ende der langen Altenhainer Bahnhofsgleise erreicht. Erst hier am Kilometer 10,650 halten wir an dem in einer Rechtskurve gelegenen Bahnsteig des sich linker Hand befindlichen Haltestellengebäudes. Baulich ist das fast der einzige Unterschied zur benachbarten Ammelshainer Station. Lediglich eine Schreibstube für den Dienstvorsteher wurde Anfang der 1950er Jahre noch angebaut.
Gerade bei Bahnstationen mit militärischen Anschlussgleisen war das Fotografieren streng verboten und Transportpolizisten hatten meist gute Augen. Günter Meyer hielt wohl deshalb den Altenhainer Bahnhof am 13. Dezember 1964 nur in Schnappschüssen fest. (Fotos oben und unten: Günter Meyer)
Dass die Altenhainer stolz sind auf die Bahnlinie und ihre Personenhaltestelle, für die sich hauptsächlich der frühere Rittergutsbesitzer Emil Kabitzsch eingesetzt hatte, wird in der Begebenheit deutlich, die uns jetzt die eben zugestiegene Christa Hecht schildert: „Meine Großmutter Hulda Bade“, erzählt sie, „bewohnte mit ihren Mann und den Kindern das Haus Nr. 54. Am 29.09.1911 wurde mein Vater, Martin Bade, geboren. Es war, wie in damaligen Zeiten üblich, eine Hausgeburt und eine Wöchnerin hatte nach der Entbindung 9 Tage straff im Bett zu liegen. Hinter unserem Haus verläuft die Bahnstrecke Beucha-Trebsen. Und im Jahr 1911 war gerade der Anschluss bis Trebsen hergestellt worden und sollte nun festlich eröffnet werden… An diesem Tag (30. September 1911) fuhr der Personenzug von Brandis nach Trebsen… Nun durfte meine Großmutter ja eigentlich das Bett nicht verlassen, aber dieses Ereignis wollte sie sich auf keinen Fall entgehen lassen und stand auf, um… den mit Blumen und Girlanden geschmückten Zug zu sehen.“
Mittlerweile haben wir Altenhain hinter uns gelassen. Das Gleis, jetzt geradlinig und etwas bergan nach Südosten führend, durchschneidet lange Felder. Östlich fällt der Blick auf eine Holländer-Windmühle, hinter der sich die schon arg gestutzte Kuppe des Trebsener Colmberges erhebt. Nach einer im Einschnitt liegenden Linkskurve und einem Einfahrsignal geht es bergab zum nächsten Halt – Seelingstädt!
Teil 7: Steine über Steine – vom Bahnhof Seelingstädt
Wir haben nun fast 13 Kilometer unserer Sonntagsfahrt nach Trebsen hinter uns. Viele Male musste der Lokführer die Dampfpfeife der Maschine an den ungesicherten Bahnübergängen der Strecke betätigen. Aufgrund dieser sehr intensiven Läute- und Pfeifkonzerte nannte man Nebenbahnlinien früher vielerorts einfach nur „Bimmelbahn“. Auch unsere Strecke trug diese Bezeichnung, aber nur anfänglich. Denn schon bald bekam sie im Volksmund den wirklich vielmehr zutreffenden und bis heute bekannten Namen „Steinbruchsbahn“. An fast jeder Haltestelle wurden Pflastersteine und Schotter verladen.
Am weitaus größten war dieser Steinversand allerdings vom Bahnhof Seelingstädt, in den wir jetzt einfahren. Leider nicht begrüßt wie ehedem am 30. September 1899, als der Sonderzug zur Eröffnung des Personenverkehrs „unter dröhnenden Böllerschüssen, von der Arbeiterschaft der Hengstbergsteinbrüche gelöst“ hier ankam. Nun, vielleicht liegt es ja nur daran, dass unser Zug heute nicht so „geschmackvoll dekoriert“ ist wie damals? Obwohl die Haltestelle heutzutage ja öfter als damals im „Guirlanden- und Flaggenschmucke“ prangt!
Jedoch ist deutlich zu erkennen, dass „Seelingstädt b. Brandis“ am Bahnkilometer 13,456 der hauptsächliche Versandbahnhof der Strecke ist. Von diesem außergewöhnlich hohen Frachtumschlag künden vor allem die sich auf breiter Fläche ausdehnenden sechs Bahnhofsgleise. Diese sind auch nötig, laufen hier doch alle beladenen Waggons aus den umliegenden Steinbrüchen zusammen, wo man sie täglich zu mehreren Ganzzügen zusammenstellt. Manche so schwer, dass es oft den Einsatz zweier Lokomotiven erfordert, um diese überhaupt abfahren zu können.
Mit Betriebsbeginn der Strecke 1898 waren nur die beiden Hengstberg-Steinbrüche bei Hohnstädt zu bedienen. Durch die Bahnverlängerung nach Trebsen am 1. Oktober 1911 kamen dann die Wagen der drei Steinbrüche am Colmberg hinzu. Ab den 1920er Jahren erweiterten sich die kaum mehr zu bewältigenden Aufgaben noch um die Abfuhr der Steinprodukte aus den zwei Brüchen Altes und Neues Tausend zwischen Seelingstädt und Beiersdorf. Daneben verlud man auch Kohle aus der hiesigen Braunkohlengrube. Genug zu tun für die Seelingstädter Eisenbahner.
Die damaligen Versandleistungen der hiesigen Bahnstation verdeutlichen die nachstehenden Zahlen sehr eindrucksvoll: Im Jahr 1928 verschickten die 6 Steinbrüche insgesamt 23545 beladene Waggons (etwa 300 000 t Steine) in alle Teile Deutschlands. Nach Überwindung der Weltwirtschaftskrise, mit tiefen Einbrüchen und teilweiser Einstellung der Brüche, bewegten sich die Zahlen langsam wieder nach oben. Um ab Mitte der 1930er dann bisher ungeahnte Höhen zu erreichen. Der Zweite Weltkrieg brachte aber auch hier mit zunehmender Dauer Rückgang und schließlich Stillstand. Erst nach 1946 wurden erneut Steinprodukte in nennenswerter Größe wieder per Bahn zum Aufbau des Landes versandt. Von täglich 100 t steigerte sich die Verladung bis Anfang der 1950er Jahre auf etwa 800 t, was annähernd dem Vorkriegsniveau entsprach. Bis Ende des Jahrzehnts begannen die ersten Modernisierungen, die in die Vollmechanisierung der Steingewinnung mündeten. Damit wurde jedoch auch die Pflastersteinherstellung eingestellt. Nur noch Schotter, Splitte und Asphaltmischsplitte werden produziert. Heuer, in den 1960ern, versenden die zwei Steinbrüche Seelingstädt und Trebsen des VEB Vereinigte Hartsteinwerke Hohnstädt über den hiesigen Bahnhof davon jeweils zwischen 500 000 – 800 000 t jährlich. Und das wird zukünftig noch ansteigen. Die beiden Brüche werden mit einem Frachtaufkommen von je über 1 000 000 t im Jahr dafür sorgen, dass die Seelingstädter Bahnstation in den folgenden dreißig Jahren die Dienststelle sein wird, die innerhalb der DDR den größten Steinversand zu bewältigen hat.
Zum massenhaften Versand der „Steinbruchsbahn“ trugen maßgeblich die Hengstberg-Steinbrüche bei. Dampflok 86 221 muss im September 1937 noch etwas auf die Beladung der Talbot-Waggons warten, die die erst kürzlich an die Firma Hermann Weishorn gelieferte Deutz-Werklok OMZ-122 R unter die Verladeeinrichtungen des Schotterwerkes rangiert. Unten ein Blick von der anderen Seite auf Brechergebäude und Verladung.
(Fotos oben und unten: Sächsische Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek Dresden, Abt. Deutsche Fotothek, Möbius)
„Nebenbei“ gilt es den Überblick zu wahren und den Sicherheitsbestimmungen Rechnung zu tragen. Nicht nur einmal waren früher ganze Rangiereinheiten „abgegangen“ und unaufhaltbar bis Trebsen gerollt. Der ab 1965 beginnende Ausbau der Bahnanlagen wird dieses Problem mit dem Einbau einer Schutzweiche lösen. Gleichzeitig werden die Verlängerung der Abstell- und Rangiergleise um etwa 300 m nach Osten und der Bau eines siebten Gleises andere lösen. Selbst für die auf 21 Mann angewachsene Belegschaft und deren steigende Aufgaben wurde bereits 1963 der einst für das 6-köpfige Personal ausreichende Dienst- und Abfertigungsraum durch einen neuen Anbau ersetzt. Dazu kam endlich ein Raum zur Gepäckaufbewahrung.
Und im Herbst nächsten Jahres wird sogar ein neues Stellwerk in Betrieb gehen. Ein elektromechanisches der Bauform „Siemens & Halske“ aus dem Jahr 1912, mit Farbscheiben- und Lampenüberwachung für 18 Weichen und 6 Fahrstraßen. Es ersetzt das bisher noch im Einsatz befindliche alte sächsische Kurbelwerk. Gebaut werden wird das Turmstellwerk „B1“ dort, wo in einer weiten, vom Hauptgleis abzweigenden Rechtskurve das Anschlussgleis zum Hengstbergsteinbruch beginnt. Seit 1898 führt dieses Gleis nun schon hinunter in das langgestreckte Straßendorf, überquert in Ortsmitte die Trebsener Straße und gelangt dann, wieder etwas Höhe gewinnend, zum Hengstberg-Steinbruch.
An der Stelle, wo das Gleis die Ortsstraße quert, steht auch jene kleine, ominöse Holzbude, die der Seelingstädter Volksmund „RIAS-Bude“ nennt. Hier bedient ein Arbeiter des Steinbruchs die Schranken und soll, Gerüchten zufolge, sehr oft den verbotenen Westberliner Sender „Radio Im Amerikanischen Sektor“ hören.
Ende August 1950, beim Umzug anläßlich der 700-Jahrfeier Seelingstädts, rollt ein Wagen der Feuerwehr an der “Rias-Bude” am Bahnübergang vorbei.
(Foto: Heimatverein Seelingstädt e.V.)
Ob es die „Kitsch-Musik des Klassenfeindes“ ist oder die mitunter sehr langen Wartezeiten, die Autofahrer an den geschlossenen Schranken hinnehmen müssen – jedenfalls wird ab 1976 eine Halbschrankenanlage mit Fernüberwachung (durch Schienenkontakte) den Schrankenwärter ablösen. Heute, am 13. Dezember 1964, allerdings gönnen wir ihm den Genuss der gerade aktuellen Nummer 1 der westdeutschen Single-Charts: Die deutsche Version des Johnny Rivers Hits „Memphis, Tennessee“ von Bernd Spier…
Wieder reißt uns ein Pfiff aus den abschweifenden Gedanken. Doch diesmal stammt er nicht vom rotbemützten Fahrdienstleiter. Sondern von einer kleinen, auf dem Nachbargleis stehenden Diesellok, die, bis auf einen weißen Zierstreifen am oberen Teil der Maschine, ebenfalls rot angestrichen ist. Nagelneu kam die 1962 gebaute Lokomotive, die die Betriebsnummer V75 014 trägt, aus der CSSR nach Leipzig. Bereits Ende der 1950er Jahre hatte die Reichsbahndirektion Halle nach Ersatz für die alten Dampfloks im umfangreichen Rangierdienst der Leipziger Bahnhöfe gesucht. Weil keine entsprechenden einheimischen Fahrzeuge zur Verfügung standen, kaufte man zwanzig dieselelektrische Rangierlokomotiven von Ceskomoravska-Kolben-Danék (CKD) Prag, die sich bei der tschechischen Staatsbahn sehr gut bewährten. Die Deutsche Reichsbahn ordnete die neuen Triebfahrzeuge als Baureihe V75 (später BR 107) in den Bestand ein. Alle importierten V75-Lokomotiven wurden, außer im Rangierdienst in und um Leipzig, auch als Arbeitszuglokomotiven vor Schotterzügen der Verwaltung Bahnanlagen der Rbd Halle im Rahmen der Zentralen Oberbauerneuerung eingesetzt. Wegen dieser betrieblichen Aufgabe bekam die kleine Lok den Spitznamen „Schotterhexe“. Auch „Rote Rübe“ kursiert unter den Eisenbahnern.
„Schotterhexe“ und „Rote Rübe“ waren die Kosenamen der Reichsbahner für diese tschechischen Rangierlokomotiven, von denen V75 014 (CKD, Fabrik-Nr. 5694) am Vormittag des 13. Dezember 1964 am Seelingstädter Bahnhof pausiert. Schon in wenigen Jahren wird sie von den neuen Diesellok-Baureihen 106 und 110 abgelöst werden.
(Foto: Günter Meyer)
Erneut pfeift es neben uns – diesmal ist es aber wirklich der Abfahrtspfiff. Wir verlassen Seelingstädt nach Osten. Die Fahrt geht nun in die Gefällestrecke ins Muldental hinunter.
Teil 8: An den Rummel-Teichen
Von Seelingstädt kommend, rollt unser Zug jetzt an der südlichen Flanke des Colmberg vorbei. Wir passieren am Bahnkilometer 14,395 die steinernen Reste einer Verladeanlage. Dann, keine 500 m weiter, bei km 14,881 die Anschlussweiche der Werkbahn des jetzt noch betriebenen Trebsener Steinbruchs des VEB Vereinigte Hartsteinwerke Hohnstädt. Mittlerweile hat dieser die ehemals zwei weiteren Brüche am Berg in sich aufgenommen. Links, hinter einer hohen Steinsandhalde, lugt ein altes Brechergebäude hervor, grau geworden vom Staub der seit Jahrzehnten zermahlenen Steine. Das an dessen Stelle in wenigen Jahren ein imposantes Gebäude aus 10 Silotürmen stehen sowie unweit davon, auf momentan noch freiem Feld, das noch viel größere Getreidesilo errichtet werden wird – davon weiß heute im Zug, außer uns, noch keiner etwas.
Fast sind wir am Ziel unserer Bahnreise. Haben links und rechts der stählernen Schienen so einige Geschichten gehört und dabei so manch’ schönes Fleckchen erblickt: Die Bergkuppen bei Brandis, Ammelshain und Altenhain, mit den inzwischen eingestellten aber interessanten Steinbrüchen. Sowie den Curts- und Planitzwald mit ihren schattigen Wanderwegen. An den letzten Bahnkilometern bis Trebsen befinden sich nun natürlich keine Seebäder mehr, dennoch bietet sich hier aus dem Abteilfenster heraus etwas Ähnliches. Unser Zug, zuletzt dem Tal des Kranichbaches folgend, erreicht jetzt die beiden „Rummel-Teiche“. Die Spurkränze unseres Wagens quietschen sich durch die Gleisbögen entlang der Teichufer. Schrecken aber in diesem Wintermonat keine Wasservögel auf, die sich im Sommer sonst gern im Schilf verstecken.
Während links der Bahnlinie ein vor Jahrzehnten aufgelassener kleiner Steinbruch liegt, ragt aus dem Wasser des „Großen Rummel“, der vermutlich von Romantikern „Herthasee“ benannt wurde, eine kleine Insel – das Köllmchen. Ob die Verniedlichung das Gegenstück zum nur einen Steinwurf entfernten, einstmals 214 m hohen Colmberg darstellt? Eine Antwort hierzu liefert auch Lehrer Nitzschke in der 1925 erschienen Festschrift zur Einweihung des Trebsener Rathauses nicht. Aber er beschreibt sehr romantisch die lebendige Fauna an den Teichen.
Ende der 1950er Jahre windet sich die Wagenschlange eines Personenzuges quietschend durch die Gleiskurven an den „Rummel“-Teichen.
(Foto: Jürgen Heinze)
All dies trug vermutlich dazu bei, dass sich die Trebsener und ihre Gäste gern hier aufhielten. Zumal die Teiche leicht zu Fuß oder mit dem Fahrrad erreichbar waren. Und baden ging man hier auch schon lange. Spätestens 1946 „hatten die Trebsener Arbeitersportler damit begonnen, mehr daraus zu machen“, schreibt Christa Motzka in der Festschrift zur Trebsener 850-Jahr-Feier 2011. Doch während der erste Versuch, ein „’richtiges’ Freibad für die ganze Familie“ zu schaffen, scheiterte, nahm der Zweite ab 1961 sichtbare Konturen an. Nach dem ersten feierlichen Spatenstich, über den selbstverständlich die „Leipziger Volkszeitung“ am 20. Juni 1962 berichtete, wurden mit vielen freiwilligen, unbezahlten Arbeitseinsätzen „ein Sandstrand aufgespült, Liegewiesen angelegt, Umkleidekabinen gebaut, Toiletten und ein ‚Büdchen’ für den Bademeister errichtet, ein Sprungbrett für den Schwimmunterricht installiert und sogar Boote angeschafft“.
Während unserer heutigen Dampfeisenbahnfahrt, Mitte Dezember 1964, ist davon allerdings nicht viel zu sehen. Und leider wird das Projekt auch künftig nie richtig fertig gestellt werden. Weil sich die Wasserqualität schon bald nach dem Bau verschlechterte (woran wohl ungereinigte Abwässer und eingesickerte Schadstoffe von den überdüngten umliegenden Feldern ursächlich sind), wird das Baden ab 1968 „wegen hygienischer Bedenklichkeit… nur noch auf eigene Gefahr geduldet, ab Mitte der 1970er Jahre schließlich ganz verboten“. Die dann ungenutzten Bauten werden zusehends verfallen. Und irgendwann wird es über den Rummel heißen: „Still ruht der See“. Vielleicht hätte sich das Ganze sonst doch zu einem Seebad entwickelt? Mit eigener Bahnhaltestelle gar?
Auch Gertrud Wege, die Tochter des „Wiede & Söhne“-Prokuristen Friedrich Kropf, und ihr Mann Hermann fuhren gern mit dem Rad an den „Herthasee“. Am 29. Mai 1927 sind vom dortigen Bahnübergang die Schornsteine der Trebsener Papierfabrik noch zu erkennen. (Foto: Sammlung Dirk Reinhardt)
Eine solche erwähnte nämlich schon Renate Sturm-Francke am 30. Oktober 1943 in den „Nachrichten für Grimma“: „Auch vom ‚Fliegenden Trebsener’, dem Zug auf der Linie Pauschwitz-Beucha, wird noch heute allerlei aus vergangener Zeit erzählt… Boshafte Zungen erzählen, dass einmal jeder Zug dieser Strecke am grossen Rummel gehalten habe. Auf die Frage danach seien die Fahrgäste belehrt worden, dass am Vorabend an dieser Stelle der Schaffner die Knipszange verloren habe und man nun auf jeden Fall ihm eine Minute bei jeder Fahrt zubilligt, um ihm Gelegenheit zum Suchen zu geben.“
Jedoch waren es keine verlorenen Eisenbahnerutensilien oder vermeintliche Badegäste, die im Frühjahr 1947 ungeplante Halte der Züge am Rummel veranlassten. Nein – das waren, wenn auch aus der Not geborene, kriminelle Taten.
Der Kältewinter 1946/47 hatte dafür „gesorgt“, dass überall Brennmaterialien geklaut wurden. „Trotz aller Maßnahmen… haben die Diebstähle… an Kohlen ein derartiges Ausmaß angenommen, daß eine allgemeine Gefährdung des Betriebes befürchtet werden muß… Die öffentliche Polizei… ist daher um Hilfe gebeten worden… Es stehen… besondere Kommandos mit Überfallwagen bereit… Wie aus einer besonderen Bekanntmachung hervorgeht, wird das Reichsbahngebiet ab sofort als Sperrgebiet erklärt… Die Bahnpolizeiorgane haben den Auftrag, nötigenfalls von der Schusswaffe Gebrauch zu machen.“ Das diese, in den „Nachrichten für Grimma“ vom 20. Januar 1947 angekündigten drakonischen Gegenmaßnahmen nicht allerorts abschreckten, steht auf einem anderen Blatt. So musste Trebsens Ortschronistin Dora Lange am 13. Mai in ihren Tagebuch-Aufzeichnungen notieren, dass der Bahnübergang an den Rummelteichen schon „zum zweitenmale… von Dieben zerstört worden (ist)! Die grossen Schwellen wurden entwendet. Mit dieser unverantwortlichen Tat ist der Übergang… aufs schwerste gefährdet.“
Zum Äußersten kam es allerdings nicht und der reparierte Übergang ist seitdem nie wieder zum Tatort geworden. So rollt denn auch unser Zug ungefährdet seinem Ziel entgegen. Dort wo die Bahnlinie den zum Mühlteich und zur Mulde fließenden Kranichbach quert, steht das große Einfahrsignal. Es zeigt „Fahrt frei!“ – Trebsen erwartet uns schon.
Als Reaktion auf diesen Beitrag erreichte mich das nachstehende Foto mit absolutem Seltenheits- und Erinnerungswert: Bei einem Sonntagsausflug zum Herthasee etwa 1951/52 beobachtet der junge Detlef Theiss fasziniert einen Zug mit Altbau-52er Lok. (Foto: Sammlung Detlef Theiss)
Teil 9: Endbahnhof Trebsen – über Lokführer und Sonderzüge
An den geschlossenen Schranken des Bahnübergangs und einem Bahnwärterhaus vorbei, fährt unser Personenzug in den in einer leichten Rechtskurve liegenden Endbahnhof dieser Reise am Bahnkilometer 16,752 ein. Alle Gebäude der Station sind im gleichen Still errichtet. Dem kleinen Wärterhaus folgt ein flaches, holzverkleidetes Wirtschaftsgebäude mit Schuppen und Toiletten. Holzverkleidung am Obergeschoß trägt auch das daneben stehende dreistöckige Empfangsgebäude mit seinem angebauten Güterschuppen.
Fast nichts hat sich seit 1911 verändert. Nicht einmal das königlich-sächsische Kurbelwerk, welches sich in der kleinen Holzbude neben der Treppe zu den Dienst- und Warteräumen befindet. Einzig „neu“ ist der über dem Eingang angeschriebene Bahnhofsname: „Trebsen (Mulde)“. Denn Kenner wissen, dass hier bis zum 15. Mai 1938 noch „Trebsen-Pauschwitz“ angeschrieben war. Zwar versuchte die Eisenbahnverwaltung Doppelnamen zu meiden, doch war gerade dies für Trebsen nicht möglich. Weil es am gegenüberliegenden Muldeufer ja gleichfalls eine Bahnstation mit dem Namen „Trebsen“ gab – „Nerchau-Trebsen“. Erst als man jene 1936 in „Neichen“ umbenannte und die Gemeinde Pauschwitz (auf deren Fluren der hiesige Bahnhof steht) am 1. April 1938 nach Trebsen eingemeindete, änderte die Reichsbahn dessen Namen.
Mit laut quietschenden Bremsen halten wir. Während die mitgereisten Fahrgäste nun ihren Wohnungen zustreben, schießt Günter Meyer einige letzte Fotos unseres Zuges. Von dem jetzt die Lokomotive abgekuppelt wird, die zur Rückfahrt an den bisherigen Zugschluss umsetzen muss. Weil Trebsen keine Drehscheibe hat, wird die bis hierher „Tender voran“ gefahrene Lok, die Rücktour in Vorwärtsfahrt absolvieren.
Auch wenn der Name und die eingesetzten Fahrzeuge wechselten, der Trebsener Bahnhof hat sich in den vielen Jahrzehnten seit Inbetriebnahme kaum verändert. Vor dessen Kulisse setzt DR-Neubaudampflok 65 1002 am 13. Dezember 1964 gerade um. Rechts im Hintergrund der damals noch komplett vorhandene Lokomotivschuppen.
(Fotos oben und unten: Günter Meyer)
Wir verabschieden uns von Günter Meyer und haben nun Zeit uns die Lokomotive näher anzuschauen. Stolz glänzt 65 1002 in der vormittäglichen Wintersonne. Um ihren Lokbestand zu modernisieren, hatte die Reichsbahn ab 1950 begonnen, mehrere Neubaulokomotiven zu entwickeln. Eine davon, die Baureihe 65.10, wurde mit knapp 17,5 m Länge und 4,5 m Höhe die größte Einrahmen-Tenderlokomotive der deutschen Staatsbahnen. Die 88 beschafften Fahrzeuge dieses Typs verfügen über große Vorratsbehälter zur Mitnahme von Brennstoffen. Diese sind auch notwendig, da zur Lokbefeuerung seit Kriegsende kaum Steinkohle, sondern fast nur mindere Braunkohle zur Verfügung steht. So bringt die leer schon 88,9 t wiegende Lok mit 16 cbm Wasser- und 9 t Kohlevorrat ein Dienstgewicht von 113 t auf die Schienen, erreicht aber eine Höchstgeschwindigkeit von bis zu 90 km/h.
Eine Besonderheit der 65 1002 ist ihre „Borsig“-Fabriknummer 16352. Zwar hatte die AEG die durch die Weltwirtschaftskrise bankrott gegangene Borsig AG schon 1931 übernommen, führte diese aber als Borsig Lokomotivwerke GmbH weiter. Und selbst die ab 1951 als VEB Lokomotivbau-Elektrotechnische Werke Hans Beimler firmierende Lokfabrik in Hennigsdorf behielt die Borsig-Nummerierung bei. Allerdings ist 65 1002, die 1954 entstand, die Letzte mit solch einer Nummer auf dem Fabrikschild – alle anderen Maschinen stellte dann ja auch der VEB Lokomotivbau Karl Marx Babelsberg her.
Die jetzigen 1960er Jahre sind die „Hochzeit“ für die rund um Leipzig eingesetzten 65er. In den Buchfahrplänen der „Trebsener Schiene“ stehen sie als Plantriebfahrzeug in sämtlichen Personenzugrelationen. Obwohl 65 1002, die seit 1958 zum Bahnbetriebswerk Hauptbahnhof Leipzig-Süd (Bw Leipzig-Süd) gehört, unserem Zug heute vorspannt, ist jedoch 65 1013 die eigentliche Stammlokomotive unserer Strecke in diesen Jahren. Begonnen hat sie den Dienst in Leipzig im Juni 1956. Nach einem Berlin-Intermezzo, ab August 1961 infolge der Umorganisation des dortigen Nahverkehrs durch den „Mauer“-Bau, ist sie von März 1964 bis Mai 1967 wieder in Leipzig und im Lokschuppen Trebsen beheimatet.
Stammlok auf der „Trebsener Schiene“ war in den 1960er Jahren 65 1013. Für eine „reguläre Sonderfahrt“ dampfte sie am 19. September 1976 nochmals nach Trebsen.
(Foto unten: Rudi Lehmann, Sammlung Dirk Reinhardt)
Seit dem Frühsommer 1912 besaß die hiesige Bahnstation zur Unterstellung und Wartung der eingesetzten Lokomotiven diesen Lokschuppen. Nach zuvor angestellten Untersuchungen hatte sich eine deutlich günstigere Betriebsführung der Gesamtstrecke von hier aus ergeben, als wie bisher ab Brandis. Neben einem Kohlenschuppen und handkurbelbedienten Kran sowie einem Wasserkran, wurde ein zweiständiger Maschinenschuppen errichtet. Daran schloss sich ein Wasserbehältergebäude an. Hier befand sich auch ein Sozialtrakt mit Bad und Schlafraum für das Lokpersonal. Und im Obergeschoss eine Wohnung für einen so genannten „Nachtfeuermann (Schuppenheizer)“.
Die Gestellung der Lokomotiven oblag zunächst dem Bw Engelsdorf, ab Ende der 1940er Jahre ebenso dem Bw Leipzig-Süd. Die Engelsdorfer übernahmen dann ausschließlich den Güterverkehr, Leipzig-Süd, mit der nun unterstellten „Einsatzstelle Lokbahnhof Trebsen“, alle Personenverkehre. Die in Trebsen stationierten Lokomotiven teilten sich die Aufgaben. Anfänglich versah eine Maschine Dienst von 06.00 Uhr bis 17.00 Uhr, die zweite Lok bespannte gegen 14.00 Uhr ihren ersten Zug und legte um 23.00 Uhr die wohlverdiente Nachtruhe ein. Bis zum Morgen sorgten dann der Nachtfeuermann und ein Bahnschlosser für die Unterhaltung der Maschinen.
Das sechsköpfige Lokomotivpersonal – 3 Lokführer und 3 Lokheizer – stammte bis in die 1960er Jahre aus Trebsen oder den benachbarten Dörfern. Lokführer waren anfänglich die Herren Böttcher, Richard Werner und Robert Otto Fiedler. Fiedler, im 1. Weltkrieg zum „Dienst auf fremdländischen Bahnen“ abgeordnet, bekam 1916 aus den Händen des sächsischen Königs sogar das „Albrechtskreuz mit Schwertern“ verliehen. 1925 feierte er sein 25-jähriges Dienstjubiläum. Und stand nach 1945, zusammen mit Richard Werner, noch immer in Diensten der Reichsbahn in Trebsen. Doch was wären die „Oberlokführer“ ohne ihre Heizer gewesen? Ohne Karl Schäfer und Robert Krause, der 1932 selbst zum Lokführer befördert wurde. Weitere bekannte Lokpersonale waren Richard Reff, Rudolf Boß, Alfred Schäfer, Bruno Loth, Albert Körner, Willy Hoffmann, Richard Bujak, Hubert Zimmermann, Alfred Kummer und Erich Schröter.
Jeder der hier Genannten oder Nichtgenannten könnte mit Episoden aus dem Bahnalltag aufwarten. An dieser Stelle sei jedoch nur das Folgende herausgegriffen: Trotz der Eisenbahn vor Ort empfanden viele Einwohner die Bahnverbindungen als nicht ausreichend. Besonders fehlte ihnen eine Verbindung spätnachts nach Trebsen. Denn auch die Hiesigen wollten die Theater und andere abendliche Veranstaltungen in der Großstadt Leipzig besuchen. Die erste Möglichkeit, um mit der sprichwörtlich „letzten Bahn“ nach Hause zu gelangen, ergab sich erst Ende der 1920er Jahre. Damals wurde endlich ein Nachtzug – der so genannte „Theaterzug“ – jeden 1. Sonntag im Monat eingelegt, der Trebsen 01.33 Uhr erreichte. Durch dessen gute Auslastung ließ man ihn bald darauf jeden Sonntag, später sogar täglich fahren. Aber dies dauerte nicht lange an und die alten Beschwernisse begannen wieder.
Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg verschlug es die Trebsener Jugend dann oft nach Brandis zum Tanz. Doch wie sollte man nach den Veranstaltungen, die meist spät endeten und in die nächtliche Betriebsruhe der Bahn fielen, nach Hause kommen? Die dazu als Antwort noch heute aufgetischten Legenden wären, wenn sie sich als wahr erwiesen, damals natürlich hart bestraft worden: So sollen nämlich ein paar Mal die Tanzbegeisterten mit einem nach 02.00 Uhr extra von Trebsen nach Brandis gefahrenen wirklichen „Sonderzug“ abgeholt worden sein. Es war wohl von Vorteil, wenn man den Lokführer für eine solche „dringliche Hilfslok“ zum Nachbarn hatte oder mit diesem befreundet war.
Und musste es zu anderen Zeiten und Anlässen doch einmal zu Fuß zurückgehen, konnte passieren, dass das, was an Landstraßen funktionierte, auch bei der Eisenbahn klappte – Fahren „per Anhalter“. Nur hielt eben kein Auto, sondern ein Zug! So manches Mal werden angeblich auch die künftig hier eingesetzten Triebwagen zurück fahren, weil sie Fahrgäste „vergessen“ hätten. Obwohl Jahre danach behauptet werden wird, jene seien einfach nur zu spät gekommen…
Großer Bahnhof in Trebsen. Bei den um 1964 abgelichteten Dampflokomotiven handelt es sich links um eine ehemals aus Preußen stammende P8 (Baureihe 38.10), rechts um eine von 56 Maschinen der Baureihe 58.30, die 1958-62 in einem Rekonstruktionsprogramm der Reichsbahn aus älteren Lokomotiven der Gattung G12 umgebaut wor-
den waren. (Foto: Horst Liebing)
Während aller dieser Geschichten über legendäre Sonderfahrten, die, im Gegensatz zu denen der Zukunft, natürlich nicht fotografiert wurden, ist die Zeit schnell verflogen. Klappernd schließen sich die Schranken am Bahnübergang. Der „P 3412“, die Rückleistung unseres Zuges nach Beucha, ist abfahrbereit. Letzte Türen schlagen zu. „Abfahrt!“ pfeift es pünktlich um 12.00 Uhr. Mit einem langen Pfiff aus der Dampfpfeife quittiert die große, schwarze Lokomotive, scheint dann für einen Moment lang den Atem anzuhalten, bevor sie sich zischend und schnaufend in Bewegung setzt. Eine mächtige Dampfwolke hüllt uns ein. Plötzlich ist die Lok mitsamt ihrem Zug verschwunden!
Wir stehen – wieder zurück in der Gegenwart – zwischen den heute nur sehr selten befahrenen und vor sich hin rostenden Schienen. Ob sie uns noch weitere Geschichten erzählen?
Einfach nur klasse diese Seite. Ich suche schon lange nach solchen Bildern. Habe selber schon einige Bilder gesammelt. Leider habe ich bisher nur Bildmaterial ab den 80/90er. Ich hänge sehr an dieser Bahnstrecke. Klingt zwar komisch, aber wenn ich könnte, würde ich diese Bahnstrecke kaufen, sie wieder aufbauen und Züge wieder zwischen Beucha und Trebsen pendeln lassen. Leider müsste man dafür ein batzen Geld haben.
Macht so weiter mit dieser Seite. Ich freu mich schon auf den rest.
P.S. Wenn es möglich ist. Richtet noch eine Galerie an mit weiteren bildern dieser Strecke.
LG Paul
Paul, zunächst ersteinmal danke für den ersten (echten) geposteten Kommentar zu meiner Seite!
Warum sollte es komisch sein, wenn du die Strecke kaufen wölltest – ich würde es auch tun. Wenn ich das nötige “Kleingeld” dazu hätte… Leider ist dem nicht so und ich beschränke mich auf deren Historie. Etwas Verkehr rollt ja noch: Ein paar Getreidezüge, vielleicht demnächst auch Schotter & Splitt von Altenhain? Und nicht zu vergessen ein paar wenige Sonderzüge. Also – tot ist die Strecke noch nicht!
Mit den Bildern ist das immer so eine Sache. Ich habe zwar auch viele (vorrangig ebenfalls aus den 80ern), jedoch nicht überall die Rechte zur Veröffentlichung. Mal sehen, was die Zukunft bringt.
Schotterzüge werden woll nie von der neu gebauten Verladerampe in Altenhain fahren. Laut Gerüchten wolle die DB nicht das diese Strecke destehen bleibt. Eine Einigung mit dem Steinbruchbesitzter gab es bis jetzt nicht. Ab mitte August diesen Jahres, sobald die Umbauten beendet sind, wird es ab Beucha nur noch eine Handbetriebene Weiche geben.
Was nicht grad für ein künftig größeres Zug-Verkehrsaufkommen spricht.
Übrigens ist seit Anfang Januar das Stellwerk in Seelingstädt stillgelegt.
Ein riesen DANK, eine unvorstellbare Freude endlich ein Bild vom alten Haltepunkt in “Gleenstemrich” Kleinsteinberg.
Als gebürdiger “Brandser” Brandiser und meine Kindheit in Eicha verbracht sind das Bilder und Erinnerungen von unschätzbarem Wert.
Es ist soviel längst verschwunden und lässt sich kaum noch erahnen, sowie der Gleisanschluss mit all seinen Anlagen vom und zum Kohlenbergwestbruch (ich erinnere mich hier an die alten rostigen Gleise welche über die Straße von “Waldstemrich” – Waldsteinberg nach “Mausebrands” – Brandis – führte.
Oder der uralte Bahndamm entlang der Straße Beucha-Brandis welcher schon zu meiner Kindheit (Bj. 1955) kaum noch zu erkennen war, aber von den Großeltern erwähnt wurde.
Herzlichen DANK
Claus
Claus, besten Dank für diese “Rückmeldung”!
Auch ich war damals sehr froh, als ich von Günter Meyer die Foto-Schnappschüsse “meiner” Strecke erhielt und er mir gestattete, diese zu veröffentlichen! Ich kannte den Kleinsteinberger Haltepunkt nur aus der Neuzeit (bin Bj. 69) und es ist vermutlich wirklich das einzige Bild das von diesem HP in alter Form existiert.
Hall Dirk
Ja es freut mich das meine Rückmeldung gut angekommen ist.
Ich bin oft auf der Suche nach alten Bildern aus der Heimat (wohne ja seid 1975 in Leipzig).
Habe mir gerade vorige Woche das neue Buch des Sax Verlages mit den Ansichtskarten von Beucha, Klein- und Waldsteinerg besorgt.
Fasziniert bin ich auch von den Bildern der Steinbrüche als sie noch in Betrieb waren, den Kirchbruch, sowie den Tollert kenne ich noch wie sie langsam voll liefen, Hausbruch und Spittel kenne ich noch in Betrieb und bereue es das ich damals keine Bilder machte, oder es kaum welche gibt, auch nicht Webmäßig.
Die Steinbruch-Feldbahnanlagen blieben ja oft bis nach der Wende in ihrem Verfallsstadium erhalten und die alten Kipploren verschwanden teilweise erst in den 90er Jahren, auch von der Kabelkrananlage am Kirchbruch (abgebaut wohl um 1980) habe ich leider keine Bilder, aber es war ein einprägsames Bild
Der Verlauf der Bahnanlage zum Hausbruch ist heute kaum noch zu erahnen, aber wer es weiß erkennt es heute noch.
Was mich wundert, Beucha Bahnhof, da wurde doch vor einiger Zeit nach dem alten Bunker geforscht der auf dem Gelände vorm Eingang links (davor stehend) war.
Ich dachte damals immer das sei ein Keller, sehe den Eingang Bildhaft vor mir und staune darüber das sich wohl kaum ein Beuchaer daran erinnert.
Unter anderem wird es auch kaum noch Aufnahmen von der Schulruine geben, von welcher die Keller noch bis in die 60er Jahren vorhanden waren.
Meine Mutter (Bj.55) besuchte diese Schule und erinnert sich bis heute an den Tag der Zerstörung und wie Tiefflieger (an anderen Tagen) über die Siedlung flogen so tief das sie die Gesichter der Piloten oder Bordschützen sah.
Ich weiß ja nicht ob Dir bekannt ist das die Strecke nach Naunhof-Grimma früher zweigleisig war und in den 60ern waren noch zwei komplette Schotterbetten vorhanden und als die Strecke erneuert wurde, wurde einfach die Seite gewechselt und somit war für ein paar Wochen wieder ein zweites Gleis vorhanden, natürlich auch keine Bilder.
Leider auch keine von der Doppelschrankenanlage am Dreiflügelweg, sowie die Schranke auf halben Wege nach Naunhof die über Seilzug von dort bedient wurde.
Das mit dem Fotoverbot der Anlagen hat sich bei mir auch eingebrand, weil ich wollte als mich mein Vater besuchte (er wohnte nicht bei uns) das er das Stellwerk Beucha (am Abzweig Brandis) und die Signale fotografiert und er meinte das sei verboten und man könne eingesperrt werden oder nach Sibirien kommen (das war 1962).
Eigenartigerweise habe ich selbst heute noch Hemmungen wenn ich Bahnanlagen ins Bild nehme, wie im letzten Jahr als ich den noch heute sichtbaren Bombentreffer vor dem Leipziger Hauptbahnhof aufnahm.
Naja, wie ich merke tauch ich wieder mal in alte Zeiten ab und wollte bloß nen Dreizeiler setzen.
PS: Zu obigem Eintrag, mir ist natürlich ein Fehler unterlaufen, mein Bj. ist 1955, Mutter welche die Schule am Kirchberg besuchte erblickte 1935 das Licht der Welt.
Und die von mir erwähnte Doppelschrankenanlage am Dreiflügelweg verlor um 1968 ihre Bedeutung da der Übergang welcher nach Kleinsteinberg führte (am Bahnwärter Haus direkt auf der Seite nach Beucha “N-N-W”) keinen Sinn mehr hatte da der Weg durch den weiterbau der Autobahn Leipzig-Dresden (welcher seid 1941 ruhte) unterbrochen wurde.
Beide Schrankenanlagen hatten eine Besonderheit, sie hatten für den Fall das sie geschlossen waren kleine Metalltore für Fußgänger … leider werden auch davon aus oben genannten Gründen keine Bilder vorhanden sein.
Vielen Dank für diesen tollen Beitrag!
Jeder Zeitungsartikel über diese Romantische Nebenbahn wird von mir gesammelt.
Es ist toll ältere Aufnahmen von der Strecke und den eingesetzten Lokomotiven zu sehen.
Ich besitze sehr viele Fotos von der Strecke, doch eine Information wird mir nirgens gegeben,
vielleicht kann hier jemand meine Frage beantworten.
Am Gleis 1 Bahnhof Brandis (Gütergleis) steht kurz vorm BÜ Richtung ACZ ein Prellbock.
Ich weiß das dass Gleis einmal nach dem BÜ auf das Hauptgleis verlief.
Nun die Frage: Wann wurde das Stück zurückgebaut? und warum?
Ich hoffe mir kann hier jemand weiterhelfen. vielen Dank
Michel, interessante Frage! Auf die Schnelle kann ich dir nur sagen, daß das vor 1994 gewesen sein muss. Mein erstes eigenes Bild von dieser Stelle (schon mit Prellbock) datiert aus 1999, auf einem Luftbild von ’94 fehlt das ehemalige Gleis ab dem BÜ aber auch schon. Es gab nach 1990 wohl schon einige Rückbauten an der Strecke – vielleicht in diesem Zeitraum? Das warum kann ich dir leider auch nicht beantworten. Aber es lesen hier so einige…
Ich müsste mal schauen was ich da noch habe.
Sicher ist das ich da ich zumindest ein eigenes Bild habe wo ein Stück des Werkgleises hinter der damals im Abbruch befindlichen MITOKO zusehen ist, darauf weiterhin noch die Werksbrücke welche Feldbahngleise zur Tongrube hatte, im Hintergrund dann noch der Bahnübergang die Aufnahmen wären von 1986.
Von der MITOKO im Abriss hätte ich auch einige Bilder, die Frage für mich … wie könnte ich die (wenn gewünscht) hier einstellen?
Claus, das wäre toll, wenn du diese hast! Du kannst die Bilder auf einem Bildhoster im Netz hochladen und sie hier dann verlinken. Oder du sendest sie mir einfach an meine Email-Adresse und ich stelle sie dann ein.
Ja ich sende sie Dir zu, es ist die Adresse im Impressum??? … wenn Du nix gegen hast könnten wir ja auch Telefonkontaktdaten austauschen?
Wenn ich zu komme suche ich die Bilder heute oder morgen zusammen.
Bilder sind unterwegs, wenn angekommen gib bitte Bescheid und wenn Du magst füge das ein was Du für richtig erachtest (auch Textmäßig) … ich denke man ließt oder hört sich gar.
Claus
Hallo Claus und werte Leserschaft,
ich habe mich entschlossen, mit den von Claus bekommenen Fotos zur Brandiser Mitoko eine Extra-Geschichte zu machen. Ihr findet diese unter nachstehendem Link:
http://muldental-history.de/index.php/geschichten/eisenbahngeschichten/eine-bahnfahrt-von-beucha-nach-trebsen-am-13-dezember-1964/mitoko-brandis/
Hallo Dirk,
hallo Claus,
danke, danke, danke Weltklasse!
Hi nochmal,
Wird es ein Buch geben?
Ich und einige Bekannte würde es sehr freuen. 🙂
LG
Tja, ein Buch… angedacht ist es zumindest. Aber für eine neue Streckenchronik ist es noch zu früh. Außerdem fehlen noch einige Rechte an Bildern. Und selbst wenn es diese gibt, weiß ich noch nicht, ob es dann bei einem Freiexemplar und Nennung des Urhebers bleibt? Viele Eigentümer wollen bezahlt werden. Heute ein Buch zu machen, kostet also ‘ne ganze Stange Geld (meist mußt du auch in Vorkasse gehen). Da die Beiträge einige Tage, bevor ich sie hier eingestellt habe, bei unserer regionalen Tageszeitung (LVZ-Muldentalzeitung) erschienen sind, kann ich wenigstens die nächsten Fahrten in die Archive abdecken 😉 und meiner Frau den Friseur bezahlen 😉 😉 😉
Am überlegen bin ich, ob ich die ganzen Beiträge aus der Zeitung, hier von der HP oder die, die ich für meine Vereine schrieb, mal zusammenfasse (überarbeitet usw.) und versuche, dafür einen Verlag zu finden.
Hallo Dirk, Glückwunsch zu dieser Superseite.Deine Beiträge in der LVZ hab ich regelrecht verschlungen. Auch ich hänge sehr an dieser Strecke. Ich werde dieses Jahr nochmals eine Führung auf dem Bf Brandis durchführen. Mal sehen wie viele ”Verrückte ” erscheinen werden. Ich gehe auch sämtliche Anschlüsse ab. Auch die Schamotte, zumindest was noch da ist und natürlich auch den Flugplatz. Gruß Mike aus Beucha.
Hallo Mike! Das mit der Führung zum Bf Brandis hört sich sehr gut an! Wenn der Termin steht, laß es uns wissen (am besten mindestens einen Monat vorher – zwecks Eintakten mit Arbeitgeber usw.). Wir könnten auch einen extra Beitrag dazu hier unter “Aktuelles” machen, wenn du magst.
Ja, Bitte bescheid geben. Mein Vater war Fahrdienstleiter und einer der letzten die in den Bahnhof ihren Dienst verrichteten. Ich selber war auch sehr oft im Bahnhof. Bitte Bitte umbedingt bescheid geben.
Wenn möglich – also mir oder bei Euch – würde ich mich eventuell auch anschließen.
Besten Dank – Ich finde die Bilder und Worte klasse. Der geschichtliche Abriss ist interessant und wird Erinnerungen an die ” gute alte Zeit ” der Eisenbahn wachhalten.
Grüße aus Leipzig
Das mit der Erinnerung an die “gute alte Zeit der Eisenbahn” (was man sicherlich in einigen Punkten auch relativieren muss!), versuche ich. Hierfür habe ich auch vor Kurzem meine neueste “Geschichte” zu einer kleinen Bahn mit Brücke begonnen. Wenn’s interessiert – siehe unter: http://muldental-history.de/index.php/geschichten/pauschwitz/uber-eine-kleine-brucke/
Hallo Dirk, ich finde deine Geschichte echt sehr gut, diese hat mich auch echt mitgerissen und gefesselt. Es ist auch eine tolle Fotostrecke. Da ich (Bj 1994) bin und die Orte anders in Erinnerung habe bin ich absolut begeistert.
Hätte nie gedacht das man sowas noch zu Gesicht bekommt.
Daumen hoch und weitermachen.
LG Die Alex 🙂
Hallo Michel!
Habe mit Interesse eure Beiträge gelesen.War einer der letzten vom Rangierpersonal in Brandis.Weiß aber auch nicht mehr genau,wann die Weiche zurückgebaut wurde.Sie
wurde einfach nicht mehr benötigt.Der Wagenladungsverkehr ist ja nach der Wende in Brandis fast vollständig zusammengebrochen.Das wenige,was noch kam,haben wir nach Abzug unserer Kleinlok mit der Zuglok des Nahgüterzuges bereitgestellt.War doch eine Umfahrung notwendig(dafür war die Weiche auch gedacht),konnte man das auch über die elektr.Einfahrweichen 21 u. 22 aus Richtung Beucha machen.Weiß Mike darüber nichts näheres?Bin gern zu weiteren Auskünften bereit.
MfG Andreas
Hallo Andreas,
besten Dank für die Rück-Info! Dein Angebot in Anspruch nehmend, würde ich gern mehr erfahren wollen über Militär-Transporte zum Flugplatz. Kannst du hierbei mit weiteren Infos dienen? An Fotos wage ich ja gar nicht zu denken…
Viele Grüsse Dirk
Hallo Dirk!
Ehrlich gesagt,an Fotos habe ich nicht gedacht.Das war unser Job.Wir konnten das Glände jedenTag problemlos befahren,für uns war das nicht so ausergewöhnlich.Mit den heutigen Smartphons hätte man sicher heimlich schöne Fotos machen können,aber mit den damaligen Kameras dort durch’s Gelände zu spazieren war nicht empfehlenswert.Auf die Idee ist keiner gekommen.Wir standen ja auch unter Beobachtung,die Stasi war überall.Erst mal allgemein.Es wurde so gut wie alles mit der Bahn angeliefert,was ein Objekt dieser Größe benötigt hat.Kerosin,Diesel,Benzin,Kohle,Baustoffe u.s.w.Auch alle Betonfertigteile für die später gebauten Wohnblöcke,sowie dutzende neue Tanks für die Erweiterung des Tanklagers kamen im Bahntransport.Nach Inbetriebnahme von Mukran hatten wir es dann auch mit umgespurten russischen Güterwagen mit Kuppelwagen zu tun.Bei Transporten muß ich erst mal überlegen.Da gab es jedes Jahr einige ankommende und abgehende Züge,hauptsächlich mit Fahrzeugen aller Art.Es wurde garantiert nicht nur eigene Technik be-und entladen,sondern auch von anderen Garnisionen.Ganz delikate Sachen gingen mitten in der Nacht auf die Reise,voll überplant.
Ich krame mal weiter in meinen Erinnerungen.Vielleicht können wir uns mal treffen,wenn ich wieder in Brandis bin.Einiges kann ich hier nicht schreiben.Gerade mit Namen ist das so eine Sache.
Viele Grüße Andreas
Hallo Andreas,
ja, das mit den Fotos – ich kann es sehr gut nachvollziehen, es war für unsereinen nahezu unmöglich. Allerdings weiß ich, daß andere fotografiert haben: MVM, Geheimdienste aller Art und natürlich DIE vom Gen. Mielke. Ich habe vor ein paar Tagen einige interessante Akten der BStU darüber eingesehen. Gerade auch zur Überwachung der hiesigen Eisenbahner, über der Spionage Verdächtigte, IM´s usw. (insbesondere auch zur Absicherung des Flugplatzes). Da wurden von denen genügend Fotos geschossen. Als Ur-Brandiser würdest du vielleicht einige der Leute erkennen, die da mit Fahrrädern usw. in die Nähe kamen… 😉
Interessant fand ich übrigens die Notizen über Züge, die mit Panzern be- oder entladen wurden. Denn da stellt sich die Frage, woher kamen die und warum wurden sie ausgerechnet in Brandis verladen? Momentan einzige Erklärung ist, da südöstlich (im Planitz-Wald) der K-Raum, Konzentrierungsraum, der Wurzener Garnison war…
Okay – ich glaube “wir müssen reden” (gern auch privat per mail).
Grüsse Dirk
hallo,
finde das alles faszinierend, besonders dass Kleinsteinberg einen eigenen Bahnhof hatte. Ich wurde am 14 Mai 1947 im Waldgut Dr Goebel (zumindest glaube ich, dass es so hieß) geboren und besuchte das Gut und auch den Kleinsteinberger See im Sommer 2007. Auch im Waldgut gabe es einen Bade und Fischteich. Die Zeit schien dort stillgestanden zu sein, wenn auch das Herrschaftsgebäude renoviert war, sonst aber alles genauso aussahe wie auf den wenigen Photos die ich noch von Gut und Park habe aus den späten 40er Jahren.
Das Waldgut Goepel wurde kürzlich verkauft (hab ich bei Leipzig Makler gesehen) Weiß jemand was daraus werden wird? Grüße aus Leipzig
Hallo, mir hat dieser Reisebericht auch sehr gefallen. Mich interessiert im Moment besonders Ammelshain. Sie haben ein Zeitungsinserat von 1930 erwähnt,als Arbeitslose kostenlos nach Ammelshain fahren konnten und eine ähnliche Begebenheit aus dem Jahre 1965. Könnten Sie mir eventuell die Quellen nennen..? Würde mir gern die Zeitungsinserate besorgen.
LG Melani
Hallo Frau Schiele,
die Informationen zu den Sonderzügen stammen aus einem Artikel aus “Der Rundblick” von 1965, Seite 432 (welche Monatsausgabe das war, kann ich momentan leider nicht sagen). Auch weiß ich nicht, welchen konkreten Zeitungsartikel aus den 1930er Jahren der Autor damals zitierte. Ich habe den Original-Artikel noch nicht gefunden.
Darf ich erfahren, welche Intensionen Sie hierzu bewegen (gern auch per Email – siehe Impressum)?
Viele Grüsse
Lieber Michael Schmidt,
zu deinem Kommentar vom 20.12.2017: meine Eltern waren um 1932 mit Lutz Goebel befreundet und besuchten öfter das Waldgut und auch das Bootshaus am See. Sein Vater war Chirurg mit eigener Klinik.