In Trebsen gab es einst eine, für die an der Mulde liegende Kleinstadt mit ihrer Papierfabrik, das gegenüberliegende Neichen sowie in weltpolitischer Historie, sehr bedeutsame Brücke. Im November 2015 wäre diese 120 Jahre alt geworden, doch leider ist von ihr fast nichts mehr übrig. Man könnte die folgenden Zeilen also für den Nachruf halten.
Über eine kleine Brücke
– Nicht nur eine Brückengeschichte –
Teil 1: Eine Werkbrücke für die Papierfabrik
Vor rund 100 Jahren gehörte ein Eisenbahnanschluss für junge, aufstrebende Fabriken zu einem äußerst wichtigen Standortvorteil. So auch für die, ab 1888 in Errichtung begriffene und 1893 den Betrieb aufnehmende Papierfabrik “Wiede & Söhne” in dem damaligen Trebsener Vorort Pauschwitz. Zwar war die nur 30 km entfernte Stadt Leipzig eines der damals bedeutendsten deutschen Messe- und Handelszentren, doch gab es zu dieser Zeit von Trebsen keinen direkten Bahnanschluss dorthin. Erst nach langjährigen Mühen und durch die Wiede’sche Expansion konnte dieser bis 1911 errichtet werden.
Allerdings bestand schon seit 1877 bei den am gegenüberliegenden Muldenufer befindlichen Dörfern Neichen und Zöhda der Bahnhof Nerchau-Trebsen der Muldentalbahn Glauchau-Wurzen. Diese Bahnstation wurde nun zum Umschlag der angelieferten Rohstoffe (Holz, Stroh, Chemikalien und Kohlen) und zum Versand des gefertigten Papiers genutzt.
Sämtliche Transporte von und nach Neichen mussten zunächst über die „König-Albert-Brücke“ befördert werden. Jedoch war die Benutzung dieser am 15. November 1883 eröffneten Muldenüberquerung kostenpflichtig. Bis zum 6. August 1928 wurde hier Brückengeld erhoben. Während Staatsbedienstete, Fußgänger und Kleintiere die Brücke ohne Bezahlung passieren durften, musste man beispielsweise für beladene Schubkarren und Handwagen 4 Pf bezahlen. Einspännige Wagen mit einem Zugtier zahlten 12 Pf, für zwei Zugtiere waren 25 Pf fällig. Ab 1909 waren für „neuartige Kraftwagen“ 20 Pf und für Motorräder 5 Pf zu entrichten. Die Kontrolle der ordnungsgemäßen Einhaltung und Zahlung oblag zuletzt Wachtmeister Hermann Kretzschmar, der zu diesem Zweck das „Zollhaus“ gegenüber der alten Post besetzte.
Blick über Pauschwitz (im Vordergrund) nach Trebsen. Stromabwärts der Papierfabrik “Wiede & Söhne”, von deren höchstem Schornstein dieses Foto aufgenommen wurde, führt die “König-Albert-Brücke” über die Mulde. (Ansichtskarte: Sammlung Dirk Reinhardt)
Demgegenüber sann die Wiede’sche Unternehmensleitung auf kosten- und zeitmindernde Abhilfe. Da sich die Transportwege innerhalb der Fabrik ebenfalls zunehmend verlängerten, lag im Aufbau eines innerbetrieblichen Transportsystems mit direkter Verbindung zur etwa 2,5 km entfernten Eisenbahnstation am gegenüberliegenden Muldeufer die vernünftigste Lösung. Die angestrebte Verbindung sollte über eine fabrikeigene Muldenbrücke hergestellt werden. Schon im Frühjahr 1895 begannen die Bauplanungen dafür.
Am 15. Mai ersuchten “Wiede & Söhne” bei der Generaldirektion der Königlich Sächsischen Staatseisenbahn um Genehmigung eines normalspurigen Privatgleisanschlusses an der Station „Nerchau-Trebsen“ und um Anlage eines Kohlen- und Holzlagerplatzes auf dem dortigen Bahngelände. Zwei Tage später, am 17. Mai, wurde die Amtshauptmannschaft Grimma um Zustimmung zu einer schmalspurigen Werkbahn inklusive deren Muldenüberquerung mit einer werkseigenen Brücke gebeten. Die regionale Behörde leitete das Gesuch an das zuständige Ministerium des Innern in Dresden weiter.
Zur Ausführung der Feldbahn, insbesondere der werkseigenen Muldenbrücke, findet sich im Antrag die folgende interessante Beschreibung: „Die Bahn erhält 60 cm Spurweite und wird so gebaut, daß später der Betrieb mittelst einer elektrischen Locomotive von ca. 2000 kg Eigengewicht geführt werden kann … (mittelst Pferden) jedoch soll die Bewegung der Transportwagen… erfolgen. Die Bahn überschreitet… unseren Mühlgraben und steigt dann auf einem eisernen Bockgerüst bis zur Höhe der Muldenbrücke an. Letztere ist 100 m lang und wird durch 3 genietete Trägerconstructionen von je 33 m Länge gebildet, welche auf 2 gemäuerten Uferpfeilern und 2 gemäuerten Strompfeilern ruhen… Die Höhe der Brücke ist so bemessen, daß Unterkante der Eisenconstruction mindestens 80 cm über dem Niveau des 1858er Hochwassers liegt… Das rechtsufrige Hochfluthbett der Mulde überschreitet die Bahn auch auf einer eisernen Bockconstruction. Die Böcke sind aus Eisenbahnschienen construirt… ihre Entfernung untereinander beträgt 5,5 m… Vom Ende der Bockbahn aus ist die Bahn als Terrainbahn fortgeführt… kreuzt dieselbe denjenigen Theil des Zöhdaer Gemeindeweges, welcher nach Neichen zuführt… an dieser Stelle (sollen) Pferdebahnschienen… eingelassen werden, damit der Geschirrverkehr keine Hindernisse erfährt. Weiterhin läuft die Bahn auf dem Terrain bis zur Einmündung in das Areal der Königl. Sächsischen Staatsbahn.“
Ausriss aus der handschriftlichen Beschreibung der schmalspurigen Werkbahn und ihrer Muldenüberquerung zum Bauantrag vom 17. Mai 1895.
(Stadtarchiv Trebsen, Aktenbestand VEB Zellstoff- und Papierfabrik, Karton 16)
Während der Zeit, in der das Projekt zur Entscheidung bei den Behörden lag, wurden seitens „Wiede & Söhne“ schon erste Vorarbeiten begonnen. Neben Festlegung und Vermessung der künftigen Bahntrasse, nahm man Verhandlungen mit den Eigentümern der benötigten Grundstücke auf. Letztendlich konnte man einige Flächen pachten, für andere erhielten die jeweiligen Grundstücksbesitzer einmalige Entschädigungszahlungen.
Obwohl die Vorarbeiten schon zum 5. Juli beendet werden konnten, ließen die Baugenehmigungen auf sich warten. Deshalb richteten die Fabrikbesitzer einige Eingaben an die Verantwortlichen. Die Bitte um beschleunigte Bearbeitung wurde begründet mit den günstigen Baubedingungen durch den damals niedrigen Wasserstand der Mulde. Natürlich sollten die Arbeiten auch noch vor dem Winter abgeschlossen sein.
Am 17. Juli übermittelte die Amtshauptmannschaft noch eine Forderung des Innenministeriums, nachdem sich das Unternehmen „ausdrücklich noch zu verpflichten (habe), die Brückenpfeiler im Winter, wenn eine feste zusammenhängende Eisdecke sich gebildet hat, bei Eintritt von Tauwetter jedes Mal gehörig frei eisen zu lassen, damit keine Eisstopfungen an der Brücke entstehen können.“ Als auch dies zugesagt worden war, übergab die Grimmaer Behörde schließlich am 21. September die positive Entscheidung des Dresdner Ministeriums. Die Staatsbahnverwaltung erteilte ihre Genehmigung zum 26. September 1895. Sofort begannen die Bauarbeiten an Brücke und Werkbahn. Das verwendete Feldbahnmaterial lieferte die Firma “Orenstein & Koppel”. Hiermit begründete sich damals die zukünftig gute Zusammenarbeit beider Firmen.
Innerhalb weniger Wochen wurden die Brücke über die Mulde gebaut und sämtliche Gleise verlegt, so dass die Werkbahn noch am 7. November 1895 in Betrieb gehen konnte. Dieses Ereignis fand sogar Erwähnung in der regionalen Tagespresse. In der Ausgabe vom 10. November berichteten die „Nachrichten für Nerchau, Trebsen, Mutzschen und Umgebung“, dass „aus Anlaß der Eröffnung… die Wagen mit grünem Reisig geschmückt (waren), auch fand abends für das Personal eine größere Festlichkeit im Gasthof zum Schwan statt“.
Oben: Ansicht der Werkbrücke vom Neichener Muldenufer aus im Jahr 1896. (Foto: Sammlung Jürgen Heinze)
Unten: Ausschnitt aus einem Briefkopf von “Wiede & Söhne”. (Sammlung Dirk Reinhardt)
Einige Tage nach Inbetriebnahme begann dann noch die Errichtung eines Verladeschuppens am Neichener Bahnhof, nachdem die Amtshauptmannschaft den am 2. November beantragten Bau am 15. November genehmigte. Intern wurde dieser Güterschuppen „Papierniederlage Zöhda“ genannt.
Oben: Der direkte Weg zwischen der Pauschwitzer Papierfabrik und dem Neichener Bahnhof führte über den Triebgraben und die Mulde.
(Ausschnitt aus einem Meßtischblatt, Sammlung Dirk Reinhardt)
Unten: Parallel zum normalspurigen Anschlußgleis in Neichen-Zöhda erstreckten sich dort die Gleise der 600-mm-schmalspurigen Werkbahn links und rechts von Wiede’s Lagerschuppen. (Bearbeiteter Ausschnitt aus einem Original-Bahnhofs-Lageplan, Landeshauptarchiv Sachsen-Anhalt, Dessau, Reg A, Rbd Halle, Nr. 1137)
Teil 2: Die ersten Betriebsjahre
Der Verkehr auf den schmalspurigen Werkbahngleisen der Trebsener Papierfabrik entwickelte sich ab Ende 1895 stetig. Viele Feldbahnwagen, zweiachsige Rungen- und Kastenwagen sowie Kipploren, hoch mit Stroh, Holz und anderem Material beladen, kamen in den Betrieb. Und genauso viele vierachsige Plattformwagen mit bis zu 5 t Tragfähigkeit (so genannte „Langwagen“) mit großen und schweren Papierrollen oder -paketen verließen ihn wieder. Gezogen wurden die Wagen von Pferden, denn die in der Baubeschreibung erwähnte elektrische Lokomotive ist nie beschafft worden. Auch nicht, als am 23. August 1911 der elektrische Strom in der Fabrik Einzug hielt.
Die imposante Brücke der Werkbahn über die Mulde – hier schon mit verstärkten Bögen über dem Fahrweg – wurde schnell Motiv von Ansichtskarten. Doch selbst in der colorierten Version dieser Karte (beide im Verlag “Brück & Sohn” Meissen erschienen) wird Pauschwitz als „Panschwitz“ geschrieben… (Sammlung Dirk Reinhardt)
Ende Juli 1897 ereignete sich die erste größere Betriebsstörung mit einem etwa einwöchigen Stillstand als Folge. Schuld daran war, wie hätte es auch anders sein können, ein Hochwasser der Mulde. „Seit gestern Nachmittag (30.7.)“, schrieben die „Nachrichten für Nerchau, Trebsen, Mutzschen und Umgebung“, „herrscht wie auch an allen anderen am Muldenufer gelegenen Ortschaften große Aufregung wegen des (bevorstehenden, d.A.) Hochwassers… Wer heute früh 6 Uhr die Mulde sah, die nur wenig über ihre Ufer getreten war, wird gestaunt haben, daß gegen 9 Uhr bereits alles überschwemmt war. Die ganze Muldenniederung, soweit das Auge blicken konnte, glich einem gewaltigen Strome. Die Verheerungen sind unbeschreiblich. Eine Unmasse Getreide, Holz, starke Baumstämme, Trümmer von Badehäusern und Holzschuppen, Möbel und anderes Gerät treibt unaufhörlich in sausender Schnelligkeit vorüber. Alle an der Mulde gelegenen Fabriken mußten die Arbeit einstellen… Die Pauschwitzer Papierfabrik und die Trebsener Brücke sind vom Verkehr abgeschnitten. Als Ursache dieser schrecklichen Hochflut sind mehrere im Gebirge niedergegangene Wolkenbrüche zu bezeichnen.“
Nach Abfließen des Wassers wurden die Schäden erkennbar: Obwohl der erste, eiserne Teil der Fabrikbrücke – dank der gemauerten Pfeiler – den tobenden Wassermassen stand gehalten hatte, wurde die am jenseitigen Ufer anschließende, aus Eisenbahnschienen und Holz bestehende Bockbrücke zum größten Teil weggerissen. Die Kraft des Wassers hatte dort gar ein 3 – 4 m tiefes, etwa 250 qm großes Loch gerissen.
Über die Wiederaufbauarbeiten, die sogar durch eine Sammelaktion der Trebsener Einwohner unterstützt wurden, berichteten die „Nachrichten für Grimma und Umgebung“ am 12. August: „Trebsen, 10. August… Überall sind geschäftige Hände hier tätig, um die Spuren des Hochwassers zu beseitigen. Dort arbeitet man fleißig an der Fabrikbrücke, um sie bald wieder fahrbar zu machen… so daß bald alle Schäden hier beseitigt sind und nur die Stellen, wo an der Fabrik und an der Schiffmühle der Damm durchbrochen wurde, und ein… Loch an der Fabrikbrücke werden wohl noch längere Zeit von der Gewalt reißender Fluten künden.“
Da der Anschluss an das Eisenbahnnetz für die Papierfabrik lebenswichtig war, erfolgten die Reparaturen an der Werkbrücke auch relativ rasch bis Mitte August. Diese Wichtigkeit belegen die folgenden Zahlen ebenfalls recht eindrucksvoll: Betrug der Güterumschlag des Bahnhof Nerchau-Trebsen im Jahr 1890 etwa 21.000 t, so erhöhte er sich bis 1900 auf über 75.000 t (1913 gar auf 103.885 t)! Und daran hatte das Trebsener Unternehmen den größten Anteil. Durch die Steigerung der Papierproduktion von 4260 t (1896) auf 7320 t (1905) verdoppelte sich auch der Versand. Natürlich verlangte dies eine entsprechende Erhöhung der benötigten und durch die Eisenbahn herantransportierten Rohstoffe. Für die sächsische Eisenbahn auf alle Fälle ein lukratives Geschäft mit weiterhin sehr hoher Steigerungsrate!
Der Aufschwung des Trebsener Unternehmens verdeutlichte sich insbesondere an den weithin sichtbaren Schornsteinen. 1907 errichtete man die zweite, knapp 50 m hohe Esse, 1917 dann schließlich den über 100 m hohen dritten Schornstein. Auf der unteren Ansichtskarte erkennt man jetzt auch die Bleichert’sche Konstruktion der Hänge-Seilbahn zum Transport der Kohle ins Kesselhaus. (beide Karten: Sammlung Dirk Reinhardt)
Wie oben bereits erwähnt, erhielt Trebsen-Pauschwitz am 1. Oktober 1911 – nach langem Kampf – den heiß ersehnten normalspurigen Eisenbahnanschluss nach Seelingstädt (welches schon seit dem 10. Dezember 1898 über Beucha per Schiene mit Leipzig verbunden war). Neben der, am Trebsener Colm entstehenden Steinbruchsindustrie war dieser Fortschritt hauptsächlich der Papierfabrik „Wiede & Söhne“ zu danken. Für diese bestand nun sogar die Situation, dass man zwei Privatgleisanschlüsse besaß. Doch man legte den auf Neichener Seite nicht einfach still. Obwohl jener jetzt viel geringer in Anspruch genommen wurde – die hier eingehenden Waggons mit Rohstoffen bildeten nur noch ein Bruchstück dessen, was (in der Hauptsache Tausende von Tonnen Kohle betreffend) über den Bahnhof Trebsen-Pauschwitz angeliefert wurde. Aber immerhin noch etwa die Hälfte des Papierversandgeschäfts wurde über die Bahnstation Nerchau-Trebsen abgewickelt.
Teilweise parallel zu den normalspurigen Gleisen der 1911 in Betrieb genommenen Anschlussbahn, die dann gleichfalls stetig erweitert wurde, verliefen die 600-mm-Werkbahngleise. Noch immer werden die Wagen von Pferden gezogen. Auf dem unteren Bild ist links das überdachte und mit einer Kranbahn versehene Kohlenlager zu sehen. (beide Abbildungen aus: Kropf, F. „1893 – 1918. Das erste Vierteljahrhundert der Papierfabrik Wiede & Söhne Trebsen“)
Unten: Die schweißtreibende Arbeit bei der Kalk- oder Kaolin-Umladung auf Schmalspurwagen erlaubte damals scheinbar sogar das Biertrinken während der Arbeit… (Foto: Sammlung Konrad Lange)
Zum Vergleich der Bahnabfrachtungen – und erneut für Freunde von Zahlen – nachstehend Werte aus dem Jahr 1927: Über den Gleisanschluß Trebsen-Pauschwitz wurden vom 1. Januar bis 31. Dezember 8643 Güterwagen zugeführt und 1180 abgeholt (Gesamt 9823). In Nerchau-Trebsen (Neichen) waren es dagegen 178 zugeführte und 527 abgeholte Waggons (Gesamt 705). Diese Entwicklung beruhte sicherlich auf mehreren Gründen. Das Zweiggleis in Neichen diente damals hauptsächlich als Umschlagsort für Frachten aus und nach südlichen Richtungen. Unter anderem über Glauchau nach Südsachsen und Thüringen. Sowie über Wurzen zum östlich gelegenen Elbhafen in Riesa. Hier profitierte man offenbar von günstigeren Bahntarifen. Selbstverständlich diente es auch dem Umschlag von und auf die Kleinbahn aus Richtung Mügeln. Denn von da bezog das Unternehmen Kaolin, welches zur Herstellung weißen Papiers benötigt wurde. Außerdem kann man davon ausgehen, dass sich die Betriebsführung für alle Fälle die Option des zweiten Gleisanschlusses für mögliche Not- und Härtefälle, beispielsweise als Alternative bei einer Sperrung der Beuchaer-Strecke, offen halten wollte.
Am Bahnhof Neichen beschäftigte die Firma “Wiede & Söhne” eine Kolonne von Ladearbeitern. Unmengen an Stroh, aus dem man in Trebsen-Pauschwitz Papier herstellte, verluden die Männer von Reichsbahn- auf Feldbahnwagen. Beladen mit Papierrollen und -stapeln kehrten die Wagen dann zurück. Harte Arbeit für “Ablader” Gustav Röber (unteres Bild, rechtsaußen), der 1923 sein 25-jähriges Betriebsjubiläum feierte. Schließlich mussten 1927 insgesamt 705 Waggons be- und abgeladen werden. (beide Fotos: Sammlung Konrad Lange; “Nachweisung…”: Sammlung Dirk Reinhardt)
Teil 3: Die Motorisierung der 600-mm-Werkbahn
Die Beibehaltung beider Bahnanschlüsse, der weiterhin fast ununterbrochene Betriebsausbau und die unterschiedlichen Produktionsabläufe – die ebenso veränderte Rohstoff-, Halbfertig- und Endproduktströme innerhalb der einzelnen Betriebsteile zur Folge hatten – ließen das innerbetriebliche Transportsystem jedoch Mitte der 1920er Jahre an seine Grenzen stoßen. Besonders zeitraubend und uneffektiv war die Beförderung der wachsenden Rohstofflasten von ihren relativ weit entfernten Lagerplätzen zu den verschiedenen Verarbeitungsabteilungen. Andererseits wurden die schmalspurigen Feldbahnwagen wie ehedem noch von Pferden oder gar per Hand bewegt. Zwar hatte der Einsatz von elektrischen Haspeln (Seilwinden), Förderbändern und pneumatischen Förderanlagen Verbesserungen erbracht, doch reichten diese auf Dauer nicht aus.
Unten: In der Luftbildansicht wird deutlich, welche Ausdehnungen die Papierfabrik bis 1924 schon angenommen hatte. Obwohl hier die Betriebsflächen im Süden und Südwesten (u.a. Holzlager und einige Scheunen) sowie die Anlagen in Neichen noch nicht einmal abgebildet sind. (Hapag-Luftbild 9314: Sammlung Jürgen Heinze)
Oben und unten: Schwer zu tun hatten die Pferde auf den mittlerweile schon mehrere Kilometer langen Werkbahngleisen innerhalb der verschiedenen Fabrikabteilungen. (beide Abbildungen aus: Kropf, F. „1893 – 1918. Das erste Vierteljahrhundert der Papierfabrik Wiede & Söhne Trebsen“)
Es verwundert somit nicht, dass die Forderung nach einer wirtschaftlicheren Bewerkstelligung der internen Logistik schon recht bald erste Konsequenzen nach sich zog: Im Frühjahr 1927 entschied sich die Unternehmensleitung, zunächst einmal versuchsweise, für die Feldbahn eine Motorlokomotive zu beschaffen. Bestellt wurde diese natürlich bei “Orenstein & Koppel”, Büro Leipzig. Mitte Juli lieferte das Zweigwerk „Montania“ in Nordhausen eine 10-PS-Benzinlokomotive vom Typ „H 1“ zu einem Preis von 6500 RM. Diese Lok wurde zunächst für zehn Tage zur Probe betrieben, wozu sogar ein “O&K”-Monteur mit anreiste. Da sich die Maschine augenscheinlich sehr gut bewährte, wurde noch im selben Monat eine zweite, typgleiche Lok geordert. Diese erreichte Trebsen am 30. Juli per Eisenbahn. Kein halbes Jahr später, Anfang Januar 1928, stellte man den Pferdebahnbetrieb mit dem Verkauf der Tiere ein. Währenddessen bestätigte “O&K” am 18. Februar schon die Anlieferung einer dritten Lokomotive. Diesmal zu 6800 RM, denn die Kleinlok war mit einem zusätzlichen „Schutzverdeck für den Führer zu 275,- RM“ ausgerüstet.
Dieses wunderschöne Foto einer der “Orenstein & Koppel”-Motorlokomotiven der Trebsener Papierfabrik wurde vor 1930 von Fritz Vogt aus Naunhof in Neichen aufgenommen. Leider konnte der Lokführer bisher nicht identifiziert werden. Nach meinen bisherigen Recherchen wurden die „Montania“-Maschinen zu dieser Zeit von den Herren Albert Körner, Lohse, Richard Stephan und Martin Schumann gefahren. Der Pauschwitzer Stephan hatte am 20. Januar 1919 bei „Wiede & Söhne“ begonnen und feierte 1944 sein 25-jähriges Jubiläum. Schumann war seit dem 16. Mai 1925 Betriebsangehöriger und beging 1950 sein 25. (Foto: Sammlung Dirk Reinhardt)
Allerdings – die drei Maschinen wogen jeweils 2,75 t. Was bedeutete, dass jene die für diese Last nicht ausgelegte Werkbrücke über die Mulde zunächst nicht befahren durften. Zudem wies die Brücke durch den nun schon drei Jahrzehnte währenden Betrieb einige Schäden auf. Mit den erforderlichen Reparaturen und Verstärkungen wurde die Firma “Jässing” in Wurzen beauftragt. Danach konnte man problemlos das gegenüberliegende Ufer und den dortigen Bahnhof, der zum 1. Juli 1928 in Neichen-Zöhda umbenannt wurde, erreichen.
Sicherer wurde dadurch auch für die Beschäftigten aus den östlich der Mulde gelegenen Orten der Gang über die Werkbrücke. Zumal die bei Inbetriebnahme nur provisorisch eingelegten Holzbohlen einem festen Einbau gewichen waren. Ebenso hatte die Brücke eine Beleuchtung erhalten. Die Lampen dazu waren an den Bögen, quer über dem Werkbahngleis, befestigt. 1925 hatte man auf Neichener Seite dazu noch einen 2 m breiten Weg neben dem Gleis angelegt. Dafür stellte der Zöhdaer Gutsbesitzer Arno Hörig, gegen Entschädigung, das Land zur Verfügung. Jedoch mussten dessen angrenzendes Feld und Obstgarten mit einem 1,75 m hohen Bretterzaun gegen Verschmutzungen und unbefugtes Betreten gesichert werden. Am Übergang der Feldbahn auf die örtliche Straße war außerdem noch ein verschließbares, doppeltüriges 4 m breites Tor anzubringen.
Das nachstehend abgebildete Foto zeigt links die Gleise der von der Werkbrücke kommenden und nun an den Gartengrundstücken in Neichen vorbeilaufenden Feldbahn. Vor dem Haus, aus dem dieses Foto in den 1950er Jahren aufgenommen wurde, bog die Bahn nach rechts zum Bahnhof ab. Das Haus, dessen Giebel man in Bildmitte sieht, ist übrigens dasselbe, welches im Hintergrund des obigen Fotos mit der “Montania”-Lok zu erkennen ist. (Foto: Konrad Lange)
Bis Anfang der 1930er Jahre erreichte das 600-mm-Werkbahnnetz etwa 8,5 km Länge. Mit Stand vom März 1935 waren insgesamt 80 Weichen eingebaut, Dutzende von Drehscheiben verlegt und auch zwei Schmalspur-Gleiswaagen errichtet: Die ältere „Centesimalwaage“, mit 7,5 t-Tragfähigkeit befand sich auf dem inneren Fabrikhof, vor dem Gebäude der Papiermaschine 3. 1934 kam vor der Holzschälerei eine neue, für bis zu 10 t Last ausgelegte Gleiswaage mit hölzernem Schutzhaus hinzu. Den in Einsatz befindlichen „Montania“-Loks konnten insgesamt 56 vierachsige Plattformwagen (für Papierrollen), fast die gleiche Zahl zweiachsige Rungenwagen (für Stroh- und Holztransporte) bzw. Kastenwagen mit 1,2 m3-Inhalt und einer Tragfähigkeit bis 2 t sowie rund 85 Kipploren mit 0,75 oder 1,0 m3-Inhalt (für Kaolin, Sand u.ä.) angehangen werden.
Beladen mit Papierrollen ist dieser aus zwei “Langwagen” bestehende Zug auf dem Weg in Richtung Brücke. Dahinter finden Bauarbeiten statt… (Foto: Sammlung Dirk Reinhardt)
… die auf dem Foto unten beendet sind. Ansicht des Kochereihofes von Süden. Das Gebäude links ist das Kontorgebäude. (Foto: Sammlung Edith Hempel)
Durch weitere Betriebsausbauten erfolgten später noch einige Ergänzungen an den schmalspurigen Gleisanlagen. Insbesondere in Verbindung mit dem Ausbau der regelspurigen Anschlussbahn. Weil die 600-mm-Werkbahn eines derer Gleise überqueren musste, benötigte man sogar eine drehbar gelagerte Klappbrücke. Die Schmalspurbahn erreichte in dieser Blütezeit mit etwa 10 km Länge ihre größte Ausdehnung. Und das war sicher Anlass, 1937 und 1938 je eine weitere gebrauchte O&K-„Montania“-Lok zu kaufen.
Insgesamt fünf dieser Lokomotiven hatten “Wiede & Söhne” im Bestand. Für die Ergänzungen aus dem “O&K”-Lieferverzeichnis gebührt Jens Merte Dank!
1937 beauftragte die Papierfabrik die Leipziger “Isi-Werke” mit der Umstellung ihrer Lokomotiven auf Propangas als Betriebsstoff. Wahrscheinlich beruhte dies auf den bereits bestehenden Geschäftsbeziehungen und Lieferverträgen mit der “I.G. Farbenindustrie”, Werk Bitterfeld. Denn von dort wurde man günstig mit Flüssiggas beliefert. Nach dem Umbau trugen dann sämtliche Lokomotiven auf der Motorhaube einen länglichen Gas-Druckbehälter.
Ein Werkbahnzug mit Papierrollen hat gerade den Durchgang vom nordwestlichen Fabrikhof zum Kochereihof passiert. Auf dem Foto, das nach 1937 entstand, ist durch den Gasdruckkessel auf der Motorhaube deutlich sichtbar, das die Lokomotive auf Propangasbetrieb umgerüstet wurde. (Foto: Sammlung Jürgen Heinze)
Auch auf dem folgenden Foto ist eine solch umgerüstete Lok abgebildet. Diese ist mit Lokführer Lohse und ihrem Wagenzug gerade zwischen hohen Stapeln aus Holzstämmen unterwegs. Vermutlich auf dem Holzlagerplatz im südwestlichen Betriebsgelände.
(Foto: Sammlung Dirk Reinhardt)
Insbesondere der motorisierte und damit schneller gewordene Werkbahnverkehr wies natürlich auch große Gefahren auf. So blieben Unfälle nicht aus, einige gar mit schlimmen Folgen: Am 3. Februar 1925, vormittags um 08.30 Uhr, war eine Feldbahnlore auf dem Holzlagerplatz der Firma am Bahnhof “Nerchau-Trebsen” umgekippt und hatte dabei einen Ladearbeiter tödlich verletzt. Am gleichen Ort wurde 1938 ein weiterer Ladearbeiter zwischen einem Prellbock und einem Feldbahnwagen tödlich eingequetscht. Ebenso am 23. Juni 1942 ein Rangierer, der auf einem der Feldbahnwagen mitfuhr. Beim Auffahren auf andere Wagen verlor dieser das Gleichgewicht und fiel zwischen die Wagen. Und obwohl bei Anschlußbedienungen durch die Reichsbahn ein generelles Fahrverbot für die schmalspurige Werkbahn herrschte, kam es 1940 zum Zusammenprall einer im Betriebsgelände Trebsen rangierenden Reichsbahnkleinlok mit einer der Werkloks. Die Missachtung der festgelegten Regelung endete für den Feldbahnlokführer, der unter seine umstürzende Maschine geriet, leider tödlich.
Zum Abschluß dieses Kapitels soll noch einmal ein Luftbild den Betriebszustand der Papierfabrik am “Vorabend” des Zweiten Weltkrieges dokumentieren. Da “ahnte” die kleine Werkbrücke über die Mulde, rechts unten im Bild, noch nichts von ihrem späteren Schicksal… (Ansichtskarte: Sammlung Dirk Reinhardt)
In dem von deutscher Seite vom Zaun gebrochenen 2. Weltkrieg konnte die Fabrik, dank größerer Wehrmachtsaufträge zur Lieferung von Schreib-Papier, ihr Produktionsprofil nahezu beibehalten. Auch von der später einsetzenden Stilllegungswelle war man nicht betroffen, da es gelang, die Produktion des als sehr kriegswichtig eingestuften Sackpapiers aufzunehmen. Allerdings musste man auch in Trebsen mit den üblichen Kriegsfolgen leben: Abberufung der Mitarbeiter zum Heeresdienst, eingeschränkte Anlieferung von Rohstoffen und Kohle, ungenügende Transportraumgestellung durch die Reichsbahn usw. Auch die Werkbahn betraf es. Trotz der vorsorglichen Umstellung auf Propangasbetrieb, führten s.g. „kriegswirtschaftliche Engpässe“ (fehlende Ersatzteile und Schmiermittel) dazu, dass man die Lokomotiven ab 1942 nur noch bedingt betreiben konnte. Bis schließlich der Motorlokbetrieb ganz eingestellt werden musste. Alternativ spannte man nun Zugochsen vor die Wagen, denn Pferde waren ebenfalls zum Kriegsdienst eingezogen worden.
Teil 4: Die Werkbrücke im April 1945
Amerikanische Panzer im Anrollen
Im Frühjahr 1945 rückte der zu Ende gehende Krieg auch unaufhaltsam auf Trebsen und die Mulde zu. War doch der Fluss während der Jalta-Konferenz (4. – 11. Februar 1945) als „Haltelinie“ zwischen den sich aus Osten und Westen herankämpfenden alliierten Streitkräften auserkoren worden.
„Wir alle fühlen, der mörderische Krieg… nähert sich seinem Ende“ – So beginnt Mitte April 1945 die spätere Trebsener Ortschronistin Dora Lange mit der Einleitung zu ihren privaten Aufzeichnungen. Obwohl da weder sie noch irgendein anderer Trebsener wusste, wie hier dieses Ende aussehen, wann genau es eintreten und was bis dahin noch alles geschehen würde. Doch die weitaus meisten Einwohner erhofften sich nach den mittlerweile sechs langen Kriegsjahren endlich wieder Frieden. Keiner ahnte, dass in Trebsen bald Geschichte(n) geschrieben werden sollte(n). Und das dies mit der „kleinen, wackligen Brücke“ zu tun haben würde…
Anfang April hatte die neu aufgestellte 12. deutsche Armee (nach ihrem Oberbefehlshaber, dem General der Panzertruppen Walther Wenck, auch als „Armee Wenck“ bezeichnet) hier in der Region Verteidigungsstellungen bezogen. Der vom Korpsartillerie-Kommandeur Oberst Köhler, mit Gefechtsstand in Schildau befehligte „Kampfabschnitt Mulde“ zwischen Grimma, Wurzen und Eilenburg unterstand dem XXXXVIII. Panzerkorps (Gen.d.Pz.Tr. Maximilian Reichsfreiherr v. Edelsheim). Ab dem 12. April bezogen dessen Truppenteile provisorisch errichtete Feldstellungen am Ostufer des Flusses, insbesondere zwischen Neichen und Nerchau, und erwarteten den aus dem Westen anrückenden Feind. Gleichzeitig hatten diese den Befehl erhalten, an allen Brücken Sprengsätze anzubringen und diese bei Feindannäherung zu zünden, um Panzerangriffe auszuschließen und Zeit zu gewinnen. Das Schicksal der Zerstörung war somit auch beiden Trebsener Brücken zugedacht. Es „herrscht fieberhafte Unruhe“, schrieb Dora Lange über den 15. April, „alle möglichen Gerüchte schwirren durch die Luft. Die Sprengung der Trebsener Muldenbrücke ist vorbereitet, da amerikanische Panzer im Anrollen sind.“
Die schriftliche Bestätigung für die bevorstehende Sprengung der Trebsener Muldenbrücken, die die hiesige Einwohnerschaft am 14. April 1945 bekam. (Sammlung Kretzschmar – via Frank Patzsch)
Auch Rolf Kubisch – ein weiterer Trebsener Augenzeuge – erinnerte sich an die Ereignisse dieser Zeit: „Die Papierfabrik Wiede & Söhne… wurde geschlossen. Ein Teil der Arbeiter mußte zum Volkssturm.“ Mit der Betriebseinstellung aller Trebsener Unternehmen am 12. April formierte sich jetzt hier als einzige „Verteidigung“ ein Volkssturmbataillon in Stärke von 200 Mann. Die Leitung des Volkssturms im Landkreisgebiet oblag Kreisstabsführer Köhler. Stellvertreter war der aus Trebsen stammende kriegsbeschädigte Ritterkreuzträger Hauptmann Seiler, der gleichzeitig Leiter des Volkssturms in Wurzen war. Die Trebsener Volkssturmeinheit führte Bataillonskommandeur Oberleutnant Gerhard Rüger mit seinem Stellvertreter, Baumeister Martin Berger. Ihnen unterstanden zwei Kompanien, die „Abteilung 1 Trebsen“ (Kompanieführer Karl Kießner) und die „Abt. 2 Pauschwitz“, die der frühere Bürgermeister Paul Unger kommandierte.
Der Trebsener Volkssturm – laut Dora Lange – „alle noch im Ort vorhandenen Männer, es waren meist Kriegsuntaugliche, Alte und Schüler, die es nun schaffen sollten“, war kaum ausgebildet und mit unzureichender Bewaffnung ausgerüstet. Trotzdem notierte die Tagebuchschreiberin: „Da sich unter den Volkssturmleuten ein paar Fanatiker befanden… konnte durch sinnlosen Widerstand der ganze Ort in Gefahr gebracht werden.“ Ein Teil der Volkssturmmänner bezog einen Einsatzposten in einem Häuschen der Straßenmeisterei im Wald an der Straße nach Grimma-Hohnstädt. Dort errichteten sie eine Panzersperre aus einem „mit Steinen beladenem Ackerwagen“, wie sich Herbert Konrad, ein dritter Trebsener Augenzeuge, am 14. Mai 1992 erinnerte. Eine solche Sperre wurde auch in der Altenhainer Straße aufgestellt.
Volkssturm-Männer werden am “Panzerschreck” ausgebildet – die Panzernahbekämpfung sollte die Hauptaufgabe des “letzten Aufgebotes” werden. Bild Nr. 2 der 58. Serie von “Der Weltkrieg im Bild”, Hrsg. Eilebrecht – Cigaretten und Rauchwarenfabrik Baden-Baden. (Sammlung: Dirk Reinhardt)
Doch dem letzten Trebsener Aufgebot rückten Verbände einer sehr mobilen, technisch mit modernsten Waffen bestückten amerikanischen Panzer- und Infanteriedivision entgegen. Um ihr Ziel zu ereichen, die Mulde und ihre Flussübergänge ohne große Opfer und intakt einzunehmen, brachen die Amerikaner jeglichen Widerstand durch vorherigen massiven Artillerieeinsatz. Aufklärungs- und Jagdbombenflugzeuge des IX Tactical Air Command der 9. US-Luftwaffe unterstützten den schnellen Vormarsch.
Der Tross der Truppen bewegte sich dabei in drei schlagkräftigen Kampfverbänden („Combat Commands – CCA, CCB, CCR“) vorwärts. Diese bestanden aus gepanzerten Bataillonen der 9. US-Panzerdivision, die u.a. mit den Bataillonen der unterstellten 69. US-Infanteriedivision verstärkt wurden. Zur Erfüllung der einzelnen Kampfaufgaben bildeten die Kampfverbände wiederum meist je drei s.g. „Task Forces (Kampfgruppen) – TF“. Durch die Vielzahl von Fahrzeugen bzw. auf den Panzern aufgesessen, war es den Infanteristen möglich, hinter den Panzertruppen das jeweilige Gebiet überrollend einzunehmen. Den „Spearheads (Speerspitzen)“ folgten die restlichen Truppenteile, die die eingenommenen Zonen dann gänzlich von feindlichen Gruppen oder Widerstandsnestern „säuberten“.
Amerikanische Infanterie rang im Zusammenwirken mit starken Panzertruppen sowie massiver Artillerie- und Luftunterstützung den letzten deutschen Widerstand bis zur „Haltelinie“ an der Mulde nieder. (Bild-Quellen: P-47, Library of Congress (o.l.); Howitzer-Feldartillerie-Geschütz, NARA Washington (o.r.); M4-Sherman, Wikipedia (u.))
So erreichten die US-Truppen am 15. April zwischen Colditz und Grimma die Mulde. Ab dem Nachmittag stand eine Task Force des CCR in Grimma und war bis zum nächsten Morgen in heftige Gefechte mit deutschen Truppen verwickelt. Der von der südlich gelegenen Nachbarstadt her hörbare Gefechtslärm ließ Dora Lange notieren: „Grimma steht unter Beschuss und man rechnet mit dem Durchbruch am nächsten Morgen.“
Was an diesem Montagmorgen des 16. April im Kampfabschnitt des XXXXVIII Pz.K. der 12. Armee passierte, vermerkt der geheime Tagesbericht der deutschen Wehrmachtsführung nur in wenigen Sätzen: „Im Angriff nach Osten erreichte der Feind die allgemeine Linie Wurzen-Mutschen. Nerchau ging verloren (Hier irrte der Schreiber allerdings, denn es war Trebsen, d.A.).“
Im Morgengrauen war das ca. 4.900 Mann starke CCA unter Colonel (Oberst) Thomas L. Harrold, von Südwesten kommend, in drei Task Forces auf Grimma vorgerückt. Die Voraustruppen und Aufklärer der Südkolonne, der „TF Engemann“ (benannt nach Lt.Col. Leonard E. Engemann – der Oberstleutnant war Kommandeur des 14. US-Panzerbataillons), die in der Hauptsache aus den zwei Panzerkompanien A und D des 14th Tank Bn., einer Kompanie Panzerinfanterie (Co. B/60th Armored Infantry Bn.) sowie einem Zug Panzerjäger (Co. B/656th Tank Destroyer Bn.) bestand, fanden Grimma schon besetzt und die Brücken gesprengt vor. So bewegten sich die Panzer entsprechend ihrer Befehle weiter in Richtung Norden und stießen über Hohnstädt nun auf Trebsen vor.
Hier herrschte an diesem Morgen zunächst „herrlichster Sonnenschein und eine gewisse friedliche Stimmung… Ruhe vor dem Sturm… Plötzlich bemerken wir wieder Tiefflieger über uns und hören Maschinengewehrfeuer, auch Artilleriebeschuss im Vorfeld der Stadt … Halb 10 Uhr Panzeralarm!!“ Dora Langes Notizen bestätigte auch Karl-Heinz Mohr, der in der „Muna“ Altenhain dienstverpflichtet war. Nach dessen Angaben machte ein von der Heeresmunitionsanstalt abgefahrener LKW Opel Blitz, mit Panzerfäusten und Munition für den Volkssturm beladen, zu diesem Zeitpunkt unfreiwillig „Bekanntschaft“ mit amerikanischen Tieffliegern und blieb kurz vor Trebsen verunfallt liegen. Unterdessen warfen die Volkssturmmänner am Berg ihre Waffen weg und flüchteten, wie Dora Lange schreibt, „todmüde vom Dienst, 4 Tage ohne Ablösung, ohne Schlaf“, nach Hause zu ihren Familien. „Alles ist in Aufregung und wartet mit pochendem Herzen der Dinge, die die Entscheidung in unserm Ort bringen sollen.“
Nicht über die Brücke!
Kurz vor dem Einrücken der amerikanischen Truppen in Trebsen am Morgen des 16. April 1945, flog, durch die Sirene der Papierfabrik zuvor wohl noch angekündigt, mit einem ohrenbetäubenden Knall die Muldenbrücke in die Luft. Zwar gibt es zur genauen Zeit ihrer Sprengung unterschiedliche Angaben, die von 02.00 Uhr morgens, über 08.33 Uhr, bis 09.30 Uhr reichen – wobei die mittlere Zeit am wahrscheinlichsten erscheint –, jedoch sank die bogenförmige Gitterstruktur aus Stahl beiderseits des mittleren Strompfeilers in den Fluss.
Die Trebsener “König-Albert-Brücke” vor der Sprengung… (Ansichtskarte: Sammlung Dirk Reinhardt)
… und danach! (Foto: Sammlung Dirk Reinhardt)
Das auf dem Mittelpfeiler als Huldigung an den sächsischen König Albert errichtete Wappen wurde ebenfalls völlig zerstört. An allen etwa 200 m im Umkreis befindlichen Gebäuden gingen Dachziegel und Fensterscheiben zu Bruch, Splitter regneten auf Dächer, blieben in Türen und im Putz stecken.
Auch Häuser in Nähe der Brücke trugen Schäden durch die Sprengung davon. (Foto: Sammlung Dirk Reinhardt)
Nach den Notizen von Siegfried Riedel, Trebsen, hatte der beim Volkssturm eingesetzte KPD-Genosse Max Kühne die Sprengung noch verhindern wollen. Und obwohl Kompanieführer Unger seine Männer, trotz Widerstands vereinzelter Fanatiker, bereits zuvor nach Hause schickte, kam Kühne wenige Minuten zu spät. Allerdings gelang es dem bei „Wiede & Söhne“ beschäftigten Werkschutzarbeiter Max Hunger, den Sprengsatz an der Werkbrücke der Papierfabrik durch Zerschneiden der Zündschnur „in letzter Sekunde“ unschädlich zu machen.
Hungers Tat war einerseits sehr gefährlich für ihn selbst, weil seit dem 7. März 1945 auf solche Handlungen und „Versäumnisse, wie die unversehrte Einnahme von Brücken durch den Feind“ das Standgericht drohte (An jenem Tag war es amerikanischen Truppen gelungen die „Ludendorff“-Eisenbahnbrücke über den Rhein bei Remagen einzunehmen.). Andererseits war Hungers Tat umso bedeutender, da damit die Trebsener Werkbrücke fast als einziger Muldenübergang erhalten blieb und wenig später noch große Wichtigkeit gewinnen sollte. Als Dank erhielt Max Hunger später durch die Bodenreform ein Stück Land geschenkt.
Nur kurze Zeit nach diesen Vorgängen rollten auch schon von Seelingstädt Panzer und gepanzerte Fahrzeuge mit weißem Stern „unter großen Staubwolken heran“. Dabei handelte es sich um die Kolonne der „TF Lynch“ (nach Lt.Col. John M. Lynch, Kommandeur des 2nd Bn. 273rd Inf.Reg.). Diese Kampfgruppe bestand aus motorisierten Aufklärern der C-Kompanie der 89th Cavalry Reconnaissance Squadron, dem 2. Bataillon des 273. Infanterieregiments, Panzern der B-Kompanie des 14th Tank Bn. und des 2. Zuges der C-Kompanie des 777th Tank Bn. sowie einem Zug der A-Kompanie des 60th Armored Infantry Bn. (AIB – Panzerinfanteriebataillon) und des 2. Zuges der C-Kompanie des 661st Tank Destroyer Bn. (Panzerjägerbataillon).
Um 06.30 Uhr war die „TF Lynch“ von Stockheim aufgebrochen und über Großbuch, Grethen, Beiersdorf als Mittelkolonne des CCA nach Seelingstädt gelangt. Hier trennte man sich von der bisher begleitenden Nordkolonne – der nach dem Kommandeur des 60th AIB, Lt.Col. Kenneth W. Collins, benannten „TF Collins“ –, die jetzt weiter auf Altenhain vorrückte und am Nachmittag den Brandis-Waldpolenzer Fliegerhorst einnahm. Von Seelingstädt aus ging es weiter nach Trebsen, das man über Altenhainer Straße und Seilergasse her einnahm. Kein Schuss sei dabei gefallen. Was vermutlich daran lag, dass man „die beiden Straßensperren im Grimmaer Wald sowie in der Altenhainer Straße… vorher beiseite geräumt“ hatte, erinnerte sich Herbert Konrad. Allerdings „nahmen die Panzer an der Friedhofsallee einige Bäume mit“.
Links: Die meisten der am 16. April 1945 in Trebsen einrollenden US-Panzer trugen diese taktischen Zeichen auf ihren Stahlwänden – 9. Panzerdivision, 14. Panzerbataillon. Die von Captain (Hauptmann) George P. Soumas geführte Panzerkompanie A des 14th Tk Bn. der „Task Force Engemann“ war an der Einnahme der Brücke von Remagen maßgeblich beteiligt: Unter dem Schutz der starken 90-mm-Kanonen der modernen M-26 „Pershing“-Panzer des 1st Platoons (1. Zug) von 1st Lt. (Oberleutnant) John Grimball war es den fünf M-4 „Sherman“-Panzern des Platoons von 1st Lt. C. Windsor Miller gelungen, diese Brücke zu erobern. Rechts: Die Infanteristen des 2. Bataillons des 273. Infanterieregiments der 69. Infanteriedivision erreichten – ähnlich wie auf diesem Bild – auf den Panzern aufgesessen die Mulde.
(Foto: Georg Patton Museum, Fort Knox)
Zeitgleich zur „TF Lynch“ erreichte die von Hohnstädt kommende „TF Engemann“ über die Grimmaer Straße die Kleinstadt an der Mulde. „Panzer um Panzer rollt an“, notierte Dora Lange in ihr Tagebuch, „Widerstand gegen diese Übermacht wäre sinnlos!! Weiße Fahnen in Form von Handtüchern oder Betttüchern sieht man überall“. Mit einem „weißen Tischtuch als Fahne“ ging jetzt auch der Volkssturm-Kompanieführer und ehemalige Bürgermeister Paul Unger den Amerikanern „als Parlamentär entgegen“, und bat, nicht zu schießen.
Nach der kampflosen Übergabe der Stadt schwärmten die amerikanischen GI’s aus. Die Männer der E-Kompanie von Captain Dave F. Dunlap (2. Bataillon/273. Inf.Reg.) durchkämmten Pauschwitz und die Papierfabrik. Dabei stießen die „Scouts“ (Pfadfinder) des 2. Platoons von 2nd Lt. (Leutnant) William R. Matlach auf die unzerstörte Werkbrücke nach Neichen.
In einem Brief vom 7. Juli 1995 beschrieb William Matlach die Ankunft in Trebsen: “Damals war ich Führer eines Schützenzuges in Stärke von 40 Mann… In Trebsen angekommen, bewegten wir uns zu Fuß, um das Mulde-Gebiet zu untersuchen. Einer meiner Leute berichtete, dass es nur noch eine intakte Brücke über den Fluss gibt. Der Weg zu ihr führte durch die Papierfabrik… Als wir die Brücke passierten, entdeckten wir Sprengladungen an allen tragenden Streben in Brückenmitte. Aus irgendwelchen Gründen hatten sie nicht gezündet. Ich zerschnitt die Zündschnurren… als wir uns weiter über die Brücke bewegten.”
Am 7. Juli 1995 beschrieb William Matlach in einem Brief an Heinz Richter die damalige Ankunft der US-Truppen in Trebsen.
Martin J. Connor, ein Soldat von Matlachs Zug, beschreibt das nachfolgende Geschehen in seiner Erinnerung „Don’t Cross Over The Bridge!“ folgendermaßen: „Mein Freund, Fran(cis) Dionne, und ich waren Pfadfinder der 2. Gruppe… Als die Kompanie in Trebsen einrollte… wurde Dionne und mir befohlen, unter der Brücke nach Sprengladungen zu suchen… Während wir unter der Brücke schauten, begannen die Männer der E-Kompanie, diese Brücke zu überqueren, trotz meiner Proteste, denn der Befehl war, nicht hinüberzugehen. Ein Offizier erwiderte, der Befehl sei geändert worden… Die Brücke war lang, überbrückte viel Uferland und konnte nur Männer oder ein Fahrzeug von Jeep-Größe tragen. Als Dionne und ich das Ende der Brücke, die den Fluss überspannte, erreichten… (schoss) ein Flugzeug auf uns. Ich (wurde) an der Schulter getroffen, Dionne im Bein, unser Trupp-Führer im Hals und noch ein weiterer GI wurde verwundet! Eine schnelle Funkmeldung von einem der Panzer… auf dem wir zuvor aufgesessen waren, beendete das Feuer. (Später stellte sich heraus, dass das Flugzeug eine P-47 von unserer Seite war. Der Befehl lautete, die Brücke nicht zu überqueren. Aber als dieser geändert wurde, weil sich deutsche Truppen zur Brücke bewegten und wir diese… schützen sollten, vergaßen sie, dies auch der Luftwaffe mitzuteilen.)“
Martin J. Connor wurde am 16. April 1945 von eigenen Jagdfliegern an der Trebsener Werkbrücke verwundet. (Quelle: 69th Infantery Division)
Auch Zugführer Matlach beschreibt diesen, „friendly fire“ genannten Zwischenfall, erinnert sich aber an mehr als ein Flugzeug und weitere Opfer: „Als wir die andere Flussseite erreicht hatten und uns längs der Gleise fortbewegten, tauchten plötzlich drei amerikanische P-47 Jagdflugzeuge im Sturzflug auf uns ab und beharkten uns mit ihren Maschinengewehren. Anscheinend hatten sie uns für sich zurückziehende deutsche Truppen gehalten. Durch diesen Beschuss wurden vier meiner Leute verwundet, ein deutsches Mädchen und ein Junge getötet und zwei oder drei deutsche Erwachsene leicht verletzt. Alle Verwundeten wurden vom Sanitäter meines Zuges behandelt.“ Einträge in den Totenbüchern des Trebsener Pfarramts bestätigen, dass damals der 16-jährige Neichener Martin Tronicke und die 19-jährige Irma Mazkewitz (als Flüchtling in Neichen untergekommen und bis dahin als Hausmädchen in Seelingstädt arbeitend) bei diesem Tieffliegerangriff ums Leben kamen.
Die P-47 „Thunderbolt“-Flugzeuge gehörten mit allergrößter Wahrscheinlichkeit zu einem der drei Geschwader der 404. US-Jagdfliegergruppe. Am 16. April flogen die 506th, 507th und 508th Fighter Squadron Einsätze für die 9. US-Panzerdivision, griffen deutsche Truppen auf Lastwagen und Pferdegespannen, Flakgeschütze, Brücken und Eisenbahnen „entlang der Mulde im Gebiet Bennewitz-Colditz“ an.
Etwa ab dieser Stelle der Werkbrücke auf Neichener Uferseite gerieten die amerikanischen Soldaten in das so genannte „friendly fire“ der Jagdflieger des IX Tactical Air Command der 9. US-Luftwaffe. Bei diesem Angriff starben zudem noch sinnlos zwei Jugendliche aus Neichen. (Foto: Sammlung Jürgen Heinze)
Letzte Gefechte bei Trebsen und Neichen
Währenddessen hatten sich Lt.Col. Engemanns Panzer, die nicht über die zu schwache Brücke der Papierfabrik fahren konnten, wieder aufgemacht, um über Walzig, Rothersdorf, Bach, Pausitz, Schmölln und Bennewitz auf Wurzen vorzustoßen. Ihre Hoffnung, die Brücke zwischen Bennewitz und Wurzen noch intakt vorzufinden, um diese überqueren und einen Brückenkopf bilden zu können, erfüllte sich nicht: Als die US-Panzer gegen 12.20 Uhr Bennewitz erreichten, wurden unmittelbar vor ihnen alle Wurzener Brücken gesprengt. Am frühen Abend wurde das 14. Panzerbataillon in Bennewitz von den Panzerinfanteristen der „TF Collins“, die bis dahin den letzten Widerstand am Polenzer Flugplatz und den umliegenden Dörfern gebrochen hatten, abgelöst. Dann rollten die Kampfpanzer über Pausitz nach Altenhain, wo um 20.00 Uhr der neue Gefechtsstand eingerichtet wurde.
Noch kurz vor Mittag des 16. April 1945 hatten die amerikanischen GI’s des 2. Bataillons des 273. Infanterieregiments die Stadt Trebsen vollständig besetzt und begannen mit dessen obligatorischer „Säuberung“ von deutschen Soldaten und Nazifunktionären. Laut Siegfried Riedel „(hielt) der erste Panzer… bei Rieger-Israel an der Grimmaischen Straße (Gustav Israel’s „Seilereierzeugnisse und Kolonialwaren“-Geschäft, ehemals Rieger, befand sich zu dieser Zeit im Eckhaus Seilergasse/Grimmaische Straße gegenüber dem Rathaus, d.A.) … Mit gezogenem Gewehr drang man ins Rathaus ein. Man nahm sich… den stellvertretenden Bürgermeister vor. Er wurde auf einen Jeep gesetzt und musste den Aufruf verbreiten, alle Radios… sind abzugeben.“ Gleiches beschrieb auch Dora Lange: „Schon prangte an jedem Leitungsmast und an den Anschlagtafeln der erste Befehl der Besatzungsmacht: Alle Waffen, Ferngläser und Photoapparate mussten sofort abgeliefert werden!“
„Nachmittags“, notierte sie weiter, „folgten den Panzerspitzen die Truppen (gemeint sind Nachschub-, Service- und medizinische Einheiten, d.A.)… musste Quartier geschaffen und manche Wohnung innerhalb 20 Minuten geräumt werden.“ Währenddessen hielten die Infanteristen der E-Kompanie in Neichen-Zöhda weiterhin ihren kleinen Brückenkopf. Und erwarteten, das Pioniereinheiten zum Übersetzen von Panzern eine Pontonbrücke errichteten. Doch dazu kam es nicht – erneut hatten sich Lage und Befehle geändert!
Über den folgenden 17. April liest man im Wehrmachtsbericht, dass sich „Wurzen und Nerschau… in eigener Hand (befinden). Eigener Gegenangriff gegen Feindbrückenkopf 2 km N Nerschau ist im Gange“. Die etwa 70 Kilometer lange „Muldefront“ konnten die unzureichenden Kräfte des 48. deutschen Panzerkorps nicht durchgehend sichern. Deshalb bezog man hauptsächlich an Flussübergängen, die vorher für die gegnerischen Panzer unpassierbar gemacht wurden, stützpunktartige Stellungen. Da die regulären Truppen dafür jedoch kaum ausreichten, wurden hier aus allen noch verfügbaren Resten zusammengestellte Kräfte eingesetzt.
Da den Trebsenern alle Kameras abgenommen wurden, existieren aus den Tagen amerikanischer Besetzung wohl keine Fotos. Der Ausschnitt aus einem Signal-Corps-Film vom 17. April 1945 zeigt einen an der Mauer des alten Friedhofes die Altenhainer Straße entlang fahrenden leichten US-Panzer M-24 „Chaffee“. (Der Filmausschnitt stammt von criticalpast)
So schreibt denn auch Willy Kaulfuß in der „Chronik der Gemeinde Neichen mit Ortsteil Zöhda“, dass das kleine Dorf „von wildgewordenen Offiziersschülern aus Wermsdorf (gemeint sind Fahnenjunker der Luftwaffen-Unteroffiziersschule 1 im Schloss Hubertusburg, d.A.)“ verteidigt werden sollte. Dazu „wagte (man) noch, die sogenannten Volkssturmleute, ca. 30 Mann, zur Verteidigung zu missbrauchen … Ein Rest der Hitlerarmee lag in Richtung Fremdiswalde Gornewitz verstreut… Eine Gruppe… verschanzte sich am Ortsausgang nördlich an der Bahnlinie… Die Amerikaner lagen… kaum 100 Mtr. gegenüber.“ Doch der im Wehrmachtsbericht beschriebene „Gegenangriff“ war eher ein Wunschdenken. Denn die Amerikaner antworteten mit massivstem Maschinengewehr-, Granatwerfer- und Artilleriefeuer auf die Trebsen gegenüberliegenden Nachbarorte!
Beispielsweise beschreibt Dora Lange in ihrem Tagebuch einen Panzer, der, an der Trebsener Post vor der gesprengten Brücke stehend, „dauernd nach dem andern Ufer (feuert). Frau Weber vom Einzelgut an der… Straßenkreuzung hisst die weiße Flagge… Der Volkssturm holt sie herunter. Erneuter Beschuss“. Und sie erinnert sich ebenso an eine nahe des Steinbruchs am Colm in Stellung gegangene Geschütz-Batterie, vermutlich vom 987th Field Artillery Bn. (Feldartilleriebataillon), die über den Trebsener Markt hinweg nach Neichen schoss. Am Ende werden durch diese Feuergefechte über ein Dutzend Wohnhäuser, zwei Gaststätten, das Gemeindeamt und mehrere landwirtschaftliche Güter in Neichen und Zöhda Treffer von Spreng- und Brandgranaten erleiden. Einige Gebäude brennen sogar völlig ab. Auch verlieren hierbei noch drei junge Arbeitsdienstmänner ihr Leben.
Für den 18. April vermeldete der deutsche Tagesbericht, dass sich „der Gegner… aus dem Brückenkopf O Trebsen auf das Westufer der Mulde zurück (zog)“. Tatsächlich rollten Teile der amerikanischen Truppen ab 8.00 Uhr westwärts, zur Einnahme der Stadt Leipzig, ab. Dies betraf in Trebsen das 2. Bataillon des 273. Infanterieregiments sowie die unterstellten Panzer des 777. Panzerbataillons. Auch die E-Kompanie des 273. zog sich aus Neichen über die Werkbrücke der Papierfabrik zurück. Die Sicherung des Gebietes an der Mulde übernahmen Einheiten der 9. US-Panzerdivision. In Trebsen rollten nun erneut die von Altenhain kommenden Panzer des 14. Panzerbataillons sowie eine Kompanie Panzerinfanterie (Co B/60th AIB) ein. Ansonsten kontrollierte man das Gebiet über Patrouillen und einzelne Sicherungsposten.
Nach der Einnahme Leipzigs und der Zerschlagung des letzten deutschen Widerstands bis zur Mulde, begannen am 20. April Umgruppierungen der US-Truppen zur eigentlichen Besetzung unserer Region. Die Einheiten der 9. Panzerdivision wurden zur Sicherung der alliierten Haltelinie an der Mulde nicht mehr benötigt und durch Soldaten der 69. Infanteriedivision ersetzt. Wieder zogen etwa 1500 US-Soldaten in Trebsen ein. Darunter zum zweiten Mal auch das 900 Mann starke 2. Bataillon des 273. Infanterieregiments, welches, nach dem Funkrufnamen „Tryhard White“ als „Weißes-Bataillon“ bezeichnet wurde. Die E-Kompanie besetzte diesmal die Papierfabrik, Wednig und Bahren, die F-Kompanie Pauschwitz. Die Kompanien G und H wurden im Schloss, in der Wurzener Strasse sowie in Walzig stationiert. In der „guten Stube“ im Erdgeschoss der Villa des 1939 gestorbenen Fabrikbesitzers Johannes Wiede, mit Ausblick über Terrasse und Garten, quartierte sich um 16.00 Uhr der Kommandeur des 273., Oberst Charles M. Adams, mit seinem Gefechtsstand ein.
In der Villa des Fabrikeigentümers Johannes Wiede richtete das 273. US-Infanterieregiment unter Oberst Charles M. Adams seinen Gefechtsstand ein.
(Foto aus: “Die Kunst. Monatshefte für freie und angewandte Kunst.” Band 38, XXI. Jahrgang, München 1918, F. Bruckmann A.-G.)
Da die Fabrikbrücke in der Nacht zum 21. April durch deutschen Beschuss noch beschädigt worden war und Heckenschützen auf alles schossen, was sich am Westufer bewegte, wagten die Amerikaner in den folgenden Tagen nur wenige Überquerungen der Mulde. Manchmal setzten sie hierbei, laut Leutnant William Matlach in der Veteranenzeitung („Bulletin“, Vol 56 No 1, 2002), „nachts mit Pionier-Paddelbooten“ über den Fluss.
Schon zuvor hatte die Führung der deutschen Wehrmachtstruppen am Ostufer der Mulde registriert, dass der Widerstand der „Westfront“ an der Hauptkampflinie Mulde-Elbe nutzlos geworden war. An das 48. Panzerkorps erging der Befehl, nach Norden abzuziehen. Durch dessen Herauslösung aus der Front zwischen Grimma und Wurzen ab dem Morgen des 22. April zerriss die Verbindung mit der südlich anschließenden 7. Armee. Jetzt harrten nur noch Sicherungsposten, versprengte Wehrmachts- und Volkssturmmänner am östlichen Muldeufer aus. Als auch diese am 24. April abzogen, standen wenig später die „Neichener… mit weißen Fahnen (am andern Ufer)“.
Bald darauf begann ein fast unaufhörlicher Strom von Menschen die schmale Werkbrücke zu überqueren. Zur Regulierung der Situation an der Brücke wurde Neichen erneut amerikanisch besetzt, diesmal von der „Fox“-Kompanie (Co. F), die in der späteren Richard-Hennig-Strasse 13a (heute Wenzel) ihren Gefechtsstand einrichtete. Innerhalb von etwa 72 Stunden wurden 12.000 ehemalige Kriegsgegangene und Zwangsarbeiter, die die Brücke passierten, registriert. Zudem begaben sich ca. 7000 deutsche Soldaten in Gefangenschaft. Jene sammelte man im Gelände der Fabrik, bevor sie mit Lastkraftwagen in entsprechende Lager weitergeleitet wurden.
Oben und unten: Tausende deutsche Wehrmachtssoldaten begaben sich in Trebsen in Gefangenschaft. Im Hof der Papierfabrik
wurden sie gesammelt und per LKW in die Kriegsgefangenenlager abtransportiert. (Beide Abbildungen: National Archiv, Washington)
Gleichzeitig begann die Reparatur der Fabrikbrücke. Major James Eibling vom 269th Combat Engineer Bn (Pionierbataillon) berichtete im 69er-„Bulletin“ (Vol 53, No 1, 1999) darüber: „Durch die Aufklärung wussten wir, dass alle Brücken über Mulde und Elbe gesprengt waren (Eine Nachkriegsaufstellung nennt für unsere Region insgesamt 14 gesprengte Brücken, d.A.). Wir reparierten die Brücke… bei Trebsen für den Fall, dass… Jeep-Patrouillen diese nutzen mussten… Am 24. April 14.00 Uhr rief mich Oberstleutnant Walter Holmlin (der Bataillonskommandeur, d.A.) zu einem kleinen Ausflug zur Brücke, … (wir) inspizierten die Reparaturen, die die C-Kompanie an einem zerstörten Segment vornahm… Dann überquerten wir die Brücke. Am Ostzugang eröffnete sich uns ein unglaublicher Anblick. So weit das Auge sehen konnte, staute sich eine unendliche Kolonne von Fahrzeugen aller Typen Stoßstange an Stoßstange…, weil die Sicherheitsposten Befehl hatten, keine Zivilisten über den Fluss zu lassen.“ – die Mulde war Grenzfluss geworden!
Oberleutnant Kotzebue und das vergessene Elbe-Treffen
Die Reparatur der Brücke der Trebsener Papierfabrik am 24. April 1945 hatte natürlich einen im Weiteren sehr bedeutsamen Hintergrund: Schon kurz nach der Kapitulation Leipzigs kam innerhalb der amerikanischen Streitkräfte die Frage auf, wer als Erster den Kontakt zu der von Osten sich heran kämpfenden Roten Armee herstellen würde. Bei diesem öffentlich unerklärten Wettlauf klaffte nun im Frontabschnitt des 273. Infanterieregiments der Weg zur Elbe, wo man die sowjetische Armee vermutete, durch den Rückzug der Wehrmacht von der Mulde weit auf. Die US-Armee befahl weitere Aufklärung über den genauen Standort der sowjetischen Truppen. So starteten denn auch über die, in amerikanischen Berichten als „wacklige Jeep-Brücke“ bezeichneten Trebsener Werkbrücke – neben dem 1. Bataillon des 273. Infanterieregiments (das zur Einnahme Wurzens abrückte) –, die später legendären Aufklärungspatrouillen.
Der weltweit bekannte Joe Polowsky, Soldat in der von Hauptmann George H. Caple, Jr. kommandierten G-Kompanie des 2. Bataillons beschrieb das weitere Geschehen in seinem Bericht „Wir schworen, nie zu vergessen“: „Nach vielen Kämpfen lagen wir nun in einem ruhigen Gebiet an der Mulde… einer Stadt mit Namen Trebsen, fünfundzwanzig Meilen westlich der Elbe. Am 24. April 1945 wurde ich in den Kompaniestab befohlen. Dort prüfte man Dokumente von Deutschen – Verdächtigen, früheren Nazis und Leuten, die einen Posten wollten. Ich war der einzige Mann in der Kompanie, der gute Deutschkenntnisse besaß. Dann kam vom Bataillonsstab ein Anruf. Sie befahlen, sofort eine Patrouille zusammenzustellen – sieben Jeeps, achtundzwanzig Männer –, die ungefähr fünf Meilen über die Front hinaus stoßen und erkunden sollte, ob… die Russen da sind. Sie wurden irgendwo zwanzig bis dreißig Meilen vor uns vermutet… Man befürchtete, daß es zu Zwischenfällen kommen könnte, wenn die beiden Armeen in vollem Schwung einander begegneten… Der beste Zugführer in unserer Kompanie war nach allgemeiner Ansicht Oberleutnant Albert L. Kotzebue. Er war besonnen, jung… Schnell brachte er die Jeeps und die Männer zusammen.“
Nachmittags, ca. 16.00 Uhr, startete die Patrouille und überquerte die Werkbrücke. Von Neichen, wo er von Bataillonskommandeur Lynch weitere Informationen und Anweisungen bekam, fuhr Kotzebue über Nitzschka und Burkartshain nach Kühren und weiter nach Luppa. Als die Nacht anbrach und die Rückkehr nach Trebsen verhinderte, ließ er kurzerhand in Kühren übernachten. Am Morgen des 25. April fuhr die Patrouille, eigenmächtig die „von oben“ angeordnete 5-Meilen-Grenze überschreitend, und angeblich ohne Benachrichtigung des Bataillons, über Meltewitz, Dahlen und Lampertswalde weiter nach Osten. In Leckwitz bei Strehla an der Elbe traf die Gruppe schließlich um 11.30 Uhr auf einen Aufklärer der Roten Armee – den Kavalleristen Aitkalia Alibekow. Kotzebue stellte damit den ersten Kontakt zwischen amerikanischen und sowjetischen Soldaten auf deutschem Boden her!
1st Lt. (Oberleutnant) Albert L. Kotzebue aus Houston, Texas, Führer der US-Patrouille, die den ersten Kontakt mit der sowjetischen
Armee herstellte, ist hier mit seiner typischen Pfeife in Trebsen porträtiert. (Foto: National Archiv, Washington)
Doch warum steht dieses historische Treffen beinahe bis heute im Schatten der populären Patrouillenfahrt des Leutnants William D. Robertson vom 1. Bataillon des 273.? Der von Wurzen nach Torgau fuhr und sich (vier Stunden nach dem ersten Treffen!) mit Alexander Silwaschko auf den Resten der gesprengten Elbebrücke die Hände reichte.
Joe Polowsky, für den es „ein großartiges Gefühl (war), die Elbe zu sehen“ und dort mit den Russen zusammenzutreffen, berichtete hierzu, dass Kotzebue dem Regimentsstab in Trebsen zwar gegen 15.15 Uhr die Funkbotschaft „Mission erfüllt, arrangiere Treffen zwischen den Kommandeuren“ übermittelte. „Doch Nachrichtenverbindungen funktionierten selten perfekt… Wir warteten ungeduldig. Kotzebue wollte… erfahren, ob er die Russen zu den amerikanischen Linien bringen sollte oder ob die Amerikaner an die Elbe kommen. Inzwischen erlebten wir… ungeheure Festivitäten. Wir tranken. Es gab Akkordeons und Balalaikas, Musik und… russische Mädchen tanzten.“
Während dieser alkoholseeligen Wartezeit, dem Eintreffen einer nach dem „verschollenen“ Kotzebue suchenden weiteren Patrouille sowie einem nicht erfolgreichen Aufklärungsflug zu den von Kotzebue falsch angegebenen Koordinaten, hatte inzwischen um 16.30 Uhr die Robertson-Patrouille den 2. Kontakt bei Torgau hergestellt. Und Robertson war cleverer, lud kurz entschlossen vier sowjetische Soldaten in seinen Jeep und raste mit diesen über Wurzen zum Trebsener Regimentsstab. Trotz aller Eigenmächtigkeiten, trotz des im Gefechtsstand Naunhof vor Wut tobenden Kommandeurs der 69. Infanteriedivision (2-Sterne-General Emil F. Reinhardt), der alle Beteiligten wegen Befehls-Übertretung vor ein Kriegsgericht stellen wollte, wurde der abgekämpften Truppe abends in der Trebsener Fabrikantenvilla und dann in Naunhof „ein feierlicher Empfang bereitet“ – die 69er hatten das „Rennen“ gewonnen!
In der „guten Stube“ der Wiede’schen Fabrikantenvilla, dem Gefechtsstand des 273. Infanterieregiments, wurden die Fotos vom
„feierlichen Empfang“ der Robertson-Patrouille mit ihren mitgebrachten sowjetischen Soldaten aufgenommen. Berichte und Fotos
über das “Link-Up” durften aber erst am 28. April in den damaligen Medien erscheinen. (Foto: National Archiv, Washington)
Zwar hatte Trebsen einen wichtigen Anteil an dem alliierten „Link-Up“ (Zusammentreffen), doch später geriet vieles davon in Vergessenheit. Nicht nur, dass die Aufklärungsfahrten erst durch die kleine Werkbrücke möglich wurden. Sondern auch, dass hier, in der Wiede’schen Villa, die ersten, bald darauf publizierten Fotos von Robertson, seinen Männern und den von Torgau mitgebrachten Soldaten der Roten Armee entstanden. Allerdings bekamen Trebsener von den damals die Welt bewegenden Ereignissen kaum etwas mit. Wohl niemand von ihnen interessierte sich für die mit Kameras „bewaffneten“ Kriegsberichterstatter und Fotografen, die den Regimentsstab von Oberst Adams belagerten und fast zum „Irrenhaus“ machten!
Zumal diese meist auch in Uniformen steckten, den Deutschen weder von der Person noch vom Namen her bekannt waren und reguläre Armee-Jeeps benutzten. Dennoch befanden sich unter dieser „Meute“, die am zeitigen Morgen des 26. April noch auf über 50 Personen anschwoll, einige Persönlichkeiten: Neben vielen anderen Kriegsberichterstattern, war dies u.a. der 34-jährige „Associated Press“-Korrespondent Harold V. Boyle. Hal Boyle schrieb seine Kriegsberichte „aus Sicht des kleinen Mannes“ und bekam dafür wenig später den Pulitzer-Preis. Auch in Trebsen notierte er die Geschichten der einfachen Soldaten des 273. Infanterieregiments und interviewte einige der Patrouillenmitglieder.
Daneben tauchte auch John Eisenhower im Hauptquartier von Oberst Adams auf. Doch selbst die Soldaten in der wire section (Telefonzentrale) der Stabs-Nachrichtenabteilung des 273. – vis-a-vis der Villa Wiede untergebracht – hatten den Besuch des Sohnes des Oberbefehlshabers der Alliierten Streitkräfte und späteren US-Präsidenten, Dwight D. Eisenhower, gar nicht mitbekommen. Das „gestanden“ Douglas George, einer von vier Funkern der wire section, und auch C. Lamar Wallis, Nachrichten-Offizier und Adjutant im Regimentsstab, im 69er-„Bulletin“ (Vol 48, No 3, 1995). Ob Letzterer von Marguerite “Maggie” Higgins, der für die „New York Herald Tribune“ arbeitenden, später ebenfalls weltbekannten Pulitzer-Fotografin, abgelenkt war? Weil diese mehrmals versuchte, ihm die in Leipzig „befreite“ deutsche Fotokamera vom Typ „Rolleiflex“ abzukaufen? Oder nervten Wallis eher Ernest Hemingways Telefonanrufe im extra eingerichteten Presse-Raum? Dass er mit diesem gesprochen hatte, glaubte er zumindest. Was nicht verwunderlich war, da Hemingway die Alliierten bei der Eroberung Frankreichs als Kriegskorrespondent begleitet hatte. Später erfuhr Wallis jedoch von Hemingways Frau, dass jener an diesem Tag in Wirklichkeit auf seiner Farm in Kuba gewesen war. Einige Reporter hatten nur den zugkräftigen Namen missbraucht, um an Informationen aus erster Hand zu kommen.
Heißhungrig warteten all die Korrespondenten auf Informationen, wollten „Nachrichten bringen“, so Polowsky, „auf die die ganze Welt seit Stalingrad und seit der Normandie wartete.“ Doch durch die von der US-Army bis zum 27. April, 18.00 Uhr, verhängte Nachrichtensperre erschienen Berichte vom Zusammentreffen erst am 28. April. In den offiziell verkündeten Kommuniques der alliierten Staatsoberhäupter Truman, Stalin und Churchill über das historische Ereignis fand jedoch nur die Robertson-Patrouille Erwähnung. Der Kotzebue-Patrouille, die eigentlich den ersten Kontakt mit der Sowjetarmee hergestellt hatte, blieb es auf Grund der Eigenmächtigkeiten, der tumultartigen Situation im Trebsener Regimentsstab, Ver-
säumnissen und Fehlern sowie „weiteren Umständen“ versagt, ruhmreich in die Geschichtsbücher einzugehen.
Nachdem man beinahe sogar die Patrouille selbst vergaß und erst am 26. April vom „Feiern mit den Russen an der Elbe“ abholte (wo man ihnen von dem anderen Treffen berichtete), vergaß man schließlich dieses allererste Treffen. Mehr oder weniger. Kotzebues Tochter bezeichnete es deshalb später als „The Forgotten Link-up”. Jedoch war der wirkliche Ablauf der Geschehnisse dennoch in vielen Zeitungen verbreitet worden. Den größten Anteil hatte daran der schon genannte AP-Journalist Hal Boyle: Denn die Geschichte um Kotzebue, betitelt mit “With the U.S. First Army Beyond the Mulde River, April 25th”, erzählte Boyle in seiner in über 700 Tageszeitungen publizierten Kolumne „Leaves From a War Correspondent’s Notebook“.
Harold V. Boyle berichtete in seiner Kolumne „Blätter aus dem Notizbuch eines Kriegskorrespondenten“ die Wahrheit
über die Patrouille von Oberleutnant Albert L. Kotzebue. (Foto: Photo News New York, Sammlung Dirk Reinhardt)
Teil 5: Die letzten Jahre der Feldbahn und ihrer Brücke
Am 5. Mai 1945 rückte die Sowjetarmee am Ostufer der Mulde in Neichen ein. Jetzt wurde die kleine Werkbrücke nur noch zum Austausch von DP’s („displaced persons“ – ehemalige alliierte Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter) benutzt, die diese, je nach Nationalität, von Ost nach West oder umgekehrt, passieren durften. Die stilliegende Fabrik war dadurch bis zum Abzug der letzten Amerikaner im Morgengrauen des 2. Juli Durchgangslager.
Seit dem Nachmittag des 1. Juli stand nun auch Trebsen unter sowjetische Besatzung. Notdürftig nahm man in der Papierfabrik am 15. Juli den Betrieb wieder auf. Jedoch wurde kaum ein Jahr später, zum 15. März 1946, die Demontage der Fabrik als Reparationsleistung an die UdSSR angeordnet. Der erneut stillgelegte Betrieb wurde von einem sowjetischen Demontagebataillon besetzt. Dazu ebenfalls eingesetzte deutsche Arbeiter durften die Mulde über die Fabrikbrücke nur passieren, wenn ihnen entsprechende Passierscheine ausgestellt worden waren.
Zweisprachig ausgestellter Ausweis zum Passieren der Fabrikbrücke während der sowjetischen Besetzung und Demontage der Papierfabrik. (Sammlung Wolfgang Pappert)
Nach Abbau der Zellstofffabrik, der Papiermaschinen und anderer wichtiger Produktionsanlagen sowie deren (vermutlich niemals dort angekommenem) Abtransport nach Osten, erteilte die Militärverwaltung den Befehl, den Betrieb zum 1. Juli 1946 wieder aufzunehmen.
Nach und nach kam auch die Werkbahn wieder in Gang. Jedoch nahm man den Schmalspurbahn-Verkehr über die Brücke nach Neichen hinüber erst gegen Ende der 1940er Jahre wieder auf. Einerseits weil die Muldentalbahn bei Grimma in Richtung Großbothen/Glauchau unterbrochen war und alle früheren Transporte erst neu geregelt werden mussten. Andererseits dadurch, weil die Fabrikbrücke, als eine von sehr wenigen erhalten blieb und bis zum Bau von Behelfsbrücken als Muldeübergang für alle zivilen Belange herhalten musste.
Ausschnitt aus den „Grimmaer Nachrichten“ vom 22.02.1947.
Schließlich hatte die kleine Bahn gleichfalls noch „Federn lassen“ müssen – so war bis September 1946 der Abzug von zwei der fünf Lokomotiven (Nr. 2564, 2569) und einer Vielzahl der Wagen an andere deutsche Betriebe verfügt worden. Die Lokomotiven wurden in dieser Zeit von Martin Schumann, Heinz Beier, Fritz Scheffler und Werner Dietel gefahren. Jedoch bedienten auch Frauen die kleinen Loks! Am 27. März 1953 schrieb die „Leipziger Volkszeitung“, dass „es jetzt zwei Lokführerinnen (gibt)“ – Eine davon war seit 1951 Emmy Ziegler.
So stellte sich die Situation des nunmehrigen VEB – Volkseigener Betrieb Zellstoff- und Papierfabrik Trebsen im Jahr 1952 dar. (Lageplan: Sammlung Dirk Reinhardt)
Unten ein Ausschnitt des Planes als Foto: Blick von der Kocherei über das Kohlenlager nach Süden, links die Holzhackerei. Der Transport der Holzstämme gehörte Ende der 1950er Jahre noch immer zum Hauptbetätigungsfeld der 600-mm-Werkbahn. (Foto: Alex Arnold, Sammlung Dirk Reinhardt)
Auf ihre „alten Tage“ bekam die kleine Werkbahn sogar noch einen weiteren Aufzug spendiert. Während der erste zur Halde führte, überwanden die Lorenwagen mit dem neuen Fahrstuhl (neben der neu errichteten Energiezentrale gelegen) den Höhenunterschied zum Niveau des alten Fabrikhofs. Trotzdem erwies sich der schmalspurige Bahnverkehr über die Werkbrücke weiter rückläufig und durch die unterbrochene Verbindung der Muldentalbahn bei Grimma nach Richtung Großbothen/Glauchau ging natürlich auch der Güterverkehr von und nach dem Bahnhof Neichen weiter zurück.
Das endgültige Aus für die Nutzung der Brücke durch die Feldbahn kam mit dem Hochwasser vom Juli 1954. Tagelang hatte es im Erzgebirge „aus Kannen“ geschüttet, schrieb Dora Lange im „Rundblick“ 1969, auch hier im Tiefland. „Die Mulde trat über… In Trebsen stand es 5,34 m über dem normalen Pegelstand (der Pegel Golzern erreichte damals, am 11. Juli 1954, einen Höchststand von 7 m, d.A.)“.
In der Trebsener Chronik schilderte Dora Lange die danach eintretende Situation folgendermaßen: „Ein von der ‚Loreley’ angeschwemmtes Wochenendhaus blieb an der Fabrikbrücke hängen und musste (um die Stauung zu beseitigen, d.A.) gesprengt werden. Dabei wurde ein Pfeiler der Brücke beschädigt, so dass diese… gesperrt werden musste … Die zerstörte Fabrikbrücke soll durch einige Betonpfeiler wieder instandgesetzt werden. Bis zur Wiederherstellung wurde ein Notsteg gebaut“.
Oben: Die beim Hochwasser 1954 auf Neichener Uferseite zerstörte Fabrikbrücke. (Beide Fotos: Sammlung Konrad Lange)
Unten: Ein Notsteg verband die durch die Sprengung unterbrochenen Brückenteile bis zur Reparatur nach Rückgang des Wassers.
(Foto links: Sammlung Konrad Lange; Foto rechts: Sammlung Dirk Reinhardt)
Unten: Teil eines durch die ungeheuren Fluten mitgerissenen Holzhauses – vermutlich der Rest des Häuschens, das Auslöser für die Notsprengung der Brücke wurde? (Foto: Sammlung Konrad Lange)
Oben und unten: Zwei Ansichten der Werkbrücke nach ihrer Reparatur mit den neuen Betonpfeilern der Bockbrückenkonstruktion
auf dem Neichener Muldenufer, vermutlich 1956 fotografiert. (Beide Fotos: Sammlung Siegfried Nowak)
Trotz Reparatur schien die ganze Konstruktion aber anscheinend nicht mehr tragfähig genug für den Lastentransport. Und vermutlich fehlten auch Mittel und Finanzen, um die Brücke dafür zu ertüchtigen. Jedenfalls wurden bald darauf die Betriebsanlagen in Neichen stillgelegt und größtenteils zurückgebaut. Heute sind noch der ehemalige ehemalige Güterschuppen (nach einigen Jahren der Nichtnutzung zu einem Wohngebäude umgebaut) und die Verladerampe vorhanden.* Jedoch blieb die Brücke bestehen, denn sie diente fortan als innerbetriebliche „Fußgängerbrücke“ für die, aus den Orten östlich der Mulde kommenden Zellstoff- und Papierfabrikarbeiter. Selbst als man für jene in den 1980er Jahren einen Werks-Busverkehr einrichtete – die Betriebsbrücke blieb die kürzeste Verbindung zur Fabrik.
* Anm.: Ausführliche Informationen zum Bahnhof Neichen findet der Leser in der 2012 vom Heimatverein „Trebsen erleben“ e.V. herausgegebenen Broschüre “Neichener Eisenbahngeschichte“.
Die „Reste“ der 600-mm-Werkbahn im Fabrikgelände wurden dagegen noch bis Ende der 1960er Jahre, insbesondere zum Transport von Holz und zwischen den einzelnen Werksabteilungen, weiter genutzt. Durch Um- und Neubauten (unter anderem Neubau der Sackpapierfabrik bis Juli 1960), neue Produktionsabläufe und Technologien verlor die Schmalspurbahn jedoch auch ihre letzten Aufgabenfelder. Nicht zuletzt beschleunigt durch den Ausbau der normalspurigen Werkanschlussbahn mit dem Einsatz entsprechender leistungsfähigerer Diesellokomotiven. Leider ließen sich bisher weder der Tag der Betriebseinstellung noch der Verbleib der “O&K”-Lokomotiven ermitteln. Eine soll wohl im Privatbesitz eines ehemaligen Fabrikarbeiters gewesen sein…?
Unten: Bis zuletzt nutzte man sogar selbstgebaute Feldbahnwagen. Hier beispielsweise bei der Umladung von Holzstämmen
aus Reichsbahnwaggons im Februar 1970. (Repro aus: “Leipziger Volkszeitung”, Ausgabe Kreis Grimma vom 05.02.1970)
Teil 6: Das allerletzte Kapitel
Mit der “Jahrhundertflut” am 12./13. August 2002 begann das allerletzte Kapitel in der Geschichte der ehemaligen Werkbahn-Muldenbrücke: Die gewaltigen Wassermassen, die den Pegel in Golzern auf die bis dahin unvorstellbare Höhe von fast genau 9 m steigen ließen, und mit ihnen die schon andernorts mitgerissenen Gegenstände (Bäume, Heizöltanks und Trümmer) zerstörten die Brücke fast vollständig. Auf einer Länge von etwa 150 m wurde die Brückenkonstruktion einfach umgeknickt, einige Brückenpfeiler auf Neichener Uferseite umgerissen oder zur Seite gedrückt.
Unten: Was übergewaltige Wassermassen anrichten können, mussten sogar Experten verwundert zur Kenntnis nehmen: In Trebsen zerstörten sie die Werkbrücke weitestgehend. (Foto: fsw – Frank Schmidt)
Oben und unten: Von den 3 je 33 m langen stählernen Brückensegmenten blieb nur das erste auf Trebsener Seite stehen. An dessen Ende
hingen, wie an einem Scharnier, die um 90 Grad abgeknickten anderen Segmente im Wasser. (Beide Fotos: fsw – Frank Schmidt)
Nach Rückgang des Wassers begannen die Aufräumungsarbeiten. Zur Bergung der abgebrochenen Brückenteile wurde am 11. September 2002 Technik der Bundeswehr-Panzerpionierkompanie 370 aus Doberlug-Kirchheim eingesetzt. Anschliessend zerlegte man diese Stahlkonstruktionen und entsorgte sie.
Soldaten der 370. Panzerpionier-Kompanie bergen die Reste der Werkbrücke. (Foto: fsw – Frank Schmidt)
Was von der Brücke noch übrig geblieben war, führte nach dem 13. August 2002 ins Leere. (Foto: Dirk Reinhardt)
Das verbliebene letzte Brückensegment musste aus Gründen des vorbeugenden Hochwasserschutzes – damit es bei erneutem Hochwasser nicht wieder zur Stauung von Treibgut führt – ebenfalls abgebaut werden. Ein erster Versuch im Juni 2005, dass etwa 15 t schwere Stahl- und Holzteil per Kran von den Brückenpfeilern zu heben, misslang. Da der Kran nicht leistungsfähig genug war oder man das Gewicht der Konstruktion unterschätzt hatte. Erst der zweite Versuch mit einem 250-Tonnen-Kran Ende Juni gelang. Dann lag das Brückenteil im Hof der ehemaligen Papierfabrik.
Unten: Einige Jahre lagerte das letzte verbliebene Segment dann im früheren Betriebshof. (Foto: Dirk Reinhardt)
Und blieb zunächst auch erhalten, sollte es doch – so hoffte man in Trebsen – eine touristische, insbesondere aber geschichtliche Attraktion werden. Der in der alten Fabrik damals noch ansässige „Förderverein für Handwerk und Denkmalpflege e. V.“ plante sogar die Aufstellung des Brückensegmentes über dem ehemaligen Triebgraben. Allerdings hat sich seitdem sehr viel verändert.
Zwar spielte das Segment noch einmal eine große Rolle im Festumzug zur Trebsener 850-Jahrfeier im Jahr 2011. Doch mit dem Hochwasser am 3. Juni 2013 (Pegelstand in Golzern 7,8 m), das nur elf Jahre nach dem 2002er “Jahrtausendhochwasser” folgte und erneut große Zerstörungen anrichtete, dem anschließenden Verkauf des Areals und dem Abriss vieler Gebäude, ging dann auch dieses Stück Geschichte seinen „letzten Gang“ – in die Schrottpresse.
Im 21. Jahrhundert teilweise noch vorhandene Relikte Trebsener Industrie-Geschichte: Im Boden eingelassene Gleis- und Drehscheibenreste sowie ein schmalspuriger Selbstbauwagen (obwohl nicht mehr auf Gleisen unterwegs, aber 2008 noch genutzt). Der 1999 fotografierte Aufzug (o.l.) zum unteren Fabrikhof ist mittlerweile aber abgerissen. (Foto-Collage: Dirk Reinhardt)
So bleibt nur zu hoffen, dass die im früheren Betriebsgelände noch immer vorhandenen Relikte der Feldbahn und die bis heute standhaften Brückenpfeiler dort verbleiben können. Denn sie alle sind Teil der Geschichte, die die sächsische Kleinstadt Trebsen in der Welt bekannt gemacht hat!
Unten: Letzte steinerne Zeugen – die Pfeiler der Werkbrücke im Mai 2015. (Foto: Martin Schramme)
Ein kleiner Tipp für alle, die bis hierher interessiert mitgelesen haben:
Die Geschichte dieser kleinen Brücke, ergänzt um ein paar weitere Bilder, ist am 13. September 2015 auch in gedruckter Form als 56-seitige A-4-Broschüre in kleiner Auflage zum Preis von 6,00 € erschienen.
Hallo Herr Reinhard,
vielen Dank für die – für mich auch aus familiäre Sicht – detaillierten Zusammenfassung.
Mein Urgroßvater war Friedrich Kropf und seine Sohn Johannes – mein Großvater – erzählte mir oft von seiner Mutprobe: die “unerlaubte” Besteigung der Wied’schen Esse und deren wunderschönen Aussicht. Nun habe ich durch Sie ein Foto/Bild von seinem Abenteuer in schwindliger Höhe erhalten.
Nochmals vielen Dank und sollten Sie in Ihrer Sammlung ein Bild der Kropf’schen Familie finden/haben, würde ich mich sehr über eine Kopie freuen.
Gruß,
Thomas Laidler
Guten Tag,
eine sehr gute Dokumentation der Fabrik und der Geschehnisse. Als Feldbahnfreund gefällt mir die Darstellung der Werkbahn und der wunderschönen Brücke besonders gut.
Gruß,
Matthias Koch
Ab Januar 45 war ich (damals 3 Jahre) mit meiner Mutter, Oma und Opa und Tante in Trebsen. Zuerst beim Bäcker Kuhnert einquartiert. Meine Erinnerung beginnt hier mit ersten kleinen Bildern. Als die Russen kamen musste meine Mutter und meine Tante irgendwie eine Holzbrücke über die Mulde bauen. Mittags bekam ich dann auch etwas vom Essen der Russen ab. Gibt es noch etwas zu erzählen über die Zeit oder auch Bilder der Brücke oder Bäcker Kuhnert. Gruss Norbert Preusche
Vielen Dank für diesen interessanten Nachruf und die Mühe und Arbeit die Sie sich gemacht haben..
Gruss aus Brandis