Fast “nebenher” und zufällig, bei Recherchen zu einem völlig anderen Thema, stieß ich auch auf die nachstehende
Geschichte aus der Muldentaler Historie, die ich für wert erachte, hier veröffentlicht zu werden.
Im Oktober 2014 brachte Steffen Klein aus Grimma Sigmund Jähn, der als erster Deutscher am 26.8.1978, zusammen mit Waleri Bykowski, mit „Sojus 31“ ins Weltall, zur Raumstation „Saljut 6“, gestartet war, mit nach Hause. Allerdings spazierte der vogtländische Kosmonaut nie über Grimmaer Strassen. Denn Klein hatte, als 500.000. Gast des Raumfahrtmuseums in Morgenröthe-Rautenkranz, zum Andenken lediglich ein Jähn nachgebildetes hölzernes „Raachermaanel“ erhalten. Dennoch kann Grimma den echten Besuch eines Kosmonauten in seinen Annalen verbuchen!
Einige Zeit hatte der Autor nach dem früheren sowjetischen Oberstleutnant Wladimir S. Dawtjan gesucht. Dawtjan war von 1972 bis 1978 Kommandant der Grimmaer Garnison und damals mit der Familie Hecht aus Altenhain gut befreundet. Entstanden war dies aufgrund dienstlicher Belange. Denn Christa Hecht arbeitete für die staatliche deutsche Versicherung und hatte dabei durch die sowjetischen Truppen verursachte Schäden in unserer Region zu regulieren. Jedoch brach der private Kontakt nach Versetzung und Rückkehr der Familie Dawtjan in die UdSSR nach wenigen Jahren und einigen Briefen gänzlich ab.
Mit den nachstehend abgebildeten wenigen Informationen begann meine Suche nach Oberstleutnant Wladimir S. Dawtjan. (Foto: Sammlung Christa Hecht / Repro)
Im April 2015 gelang in den „russischen Weiten“ des Internets dann die Kontaktaufnahme zu Dawtjans Tochter Ljudmila (verh. Putjatina) in Moskau. Leider war ihr Vater, der auf vielen Fotos und damaligen LVZ-Zeitungsberichten mit einem herzhaften Lachen abgebildet war, schon 1999 verstorben, die Mutter 2014. Jedoch besitzt Ljudmila mehrere Fotos aus der Zeit in Grimma.
Wladimir S. Dawtjan, der spätere Oberstleutnant und Kommandeur der Garnison Grimma von 1972 – 1978
Владимир C. Давтян, подполковник и Командир гарнизона Гримма, 1972 – 1978. (Foto: Ljudmila Putjatina)
Die Grimmaer Kommandantur. Im Erdgeschoß waren die Dienstzimmer, darüber die Wohnung der Familie. Frau Dawtjan hatte hier gute Sicht auf den Bahnhof.
(Fotos: Ljudmila Putjatina)
Auf einem der privaten Fotos entdeckte der Autor dann auch den Kosmonautenbesuch! Zwar gab es wohl keinen offiziellen Anlass zu diesem Besuch, damit keinerlei Erwähnung in der früheren ostdeutschen Presse und selbst der genaue Tag ist heute leider nicht mehr bekannt. Trotzdem belegt das nachstehende Foto, insbesondere durch die darauf abgebildeten Personen der militärischen Führung der sowjetischen Garnison, dass Kosmonaut Witali Iwanowitsch Sewastjanow tatsächlich in Grimma war. Und das vermutlich im Januar 1976.
Vermutlich im Januar 1976 in Grimma fotografiert: 2. von links Kosmonaut Witali I. Sewastjanow, rechts daneben Wladimir S. Dawtjan,
ganz links der Polit-Stellvertreter der 20. Garde Mot.-Schützendivision Oberstleutnant W. I. Swetkow. (Foto: Ljudmila Putjatina)
Sewastjanow, am 8. Juli 1935 geboren, hatte Luftfahrttechnik studiert und war als Ingenieur in Sergei Koroljows Konstruktionsbüro an der Entwicklung der „Wostok“-Raumkapseln beteiligt. 1967 war er für einen sowjetischen Mondlandeflug nominiert. Jedoch wurde dieses Projekt nach dem amerikanischen Zuvorkommen abgebrochen. Die UdSSR verschob den Schwerpunkt der bemannten Raumfahrt zu Langzeitaufenthalten in Stationen in der Erdumlaufbahn. Zur Vorbereitung der geplanten mehrwöchigen Aufenthalte wurden aber noch biologische Daten über die möglichen gesundheitlichen Beeinträchtigungen bei länger anhaltender Schwerelosigkeit benötigt. Gleichzeitig verfolgte man den Plan, zu Ehren von Lenins 100. Geburtstag am 22. April 1970, den Amerikanern den seit 1965 bestehenden Langzeitflugrekord von 13 Tagen zu entreißen. Am 1. Juni 1970 starteten Kommandant Andrijan Nikolajew und Neuling Sewastjanow mit „Sojus 9“. Diese 17. bemannte sowjetische Weltallmission stellte dann mit 17 Tagen und 17 Stunden auch den neuen Rekord auf. Seinen zweiten Raumflug absolvierte Dr. Sewastjanow an Bord von „Sojus 18“ neben Kommandant Pjotr Klimuk. Sie starteten am 24. Mai 1975 zur Station „Saljut 4“ und landeten nach fast 63 Tagen und 993 Erdumkreisungen am 26. Juli wieder auf der Erde.
Bald darauf begab sich Sewastjanow auf einige, natürlich vorwiegend propagandistisch genutzte Besuche. So weilte „der Fliegerkosmonaut und zweifache Held der Sowjetunion“, laut einer Meldung des „Neuen Deutschland“ vom 8. Januar 1976, „mit seiner Frau… auf Einladung des ZK der SED… zu einem Urlaubsaufenthalt in der DDR“. Belegt sind hierbei unter anderem Treffen mit Hüttenarbeitern des Mansfeld Kombinates in Hettstedt (am 10.1.) und mit den „Kosmonautenbrigaden“ im VEB Fahrzeug- und Jagdwaffenwerk „Ernst Thälmann“ in Suhl (12.1.). Dazu ehrte man Sewastjanow am 20. Januar in Berlin mit der Ehrennadel der „Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft“ in Gold. Selbst bei einer Sitzung des Politbüros am 27. Januar war der Empfang des Kosmonauten durch den „Ersten Sekretär des Zentralkomitees der SED, Genossen Erich Honecker“ Thema. Man kann also davon ausgehen, dass Sewastjanow höchstwahrscheinlich in dieser Zeit „inoffiziell“ auch die 20. Garde Mot.-Schützendivision in Grimma besuchte.
Der zweifache Held der Sowjetunion, Fliegerkosmonaut Witali Iwanowitsch Sewastjanow, auf einer Ansichtskarte.
(Sammlung Dirk Reinhardt)
Witali Sewastjanow arbeitete in den folgenden Jahren in der Bodenkontrolle der Raumstation „Saljut 6“, war 1989 für einen Flug zur „Mir“ im Gespräch und an der Raumfähre „Buran“ beteiligt. Von 1993 bis 2007 war er Abgeordneter der „Duma“ (Volkskammer des Parlaments der Russischen Förderation). Am 5. April 2010 starb er nach langer Krankheit in Moskau.
Legendär geworden ist Sewastjanow allerdings durch eine Episode am Rande seines ersten Raumflugs mit „Sojus 9“: In der Erdumlaufbahn spielten er und Nikolajew am zehnten Tag (einem Ruhetag ohne Experimente) nämlich eine fast 6-stündige Fernschachpartie – ohne Schachbrett und Figuren! – gegen die Bodenkontrolle. Und vielleicht war es diese „außerirdische“ Erfahrung, durch die Sewastjanow 1977-86 sowie 1988-89 Präsident des sowjetischen Schachverbandes und 1986 Ehrenmitglied des Weltschachverbundes FIDE wurde?
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